Gerhard Schönauer

Aussteigen - aber wie?

Ein Weg zum Leben im Grünen


Das Haus von Gerhard Schönauer (28 kB)


Inhaltsverzeichnis

Gerhard Schönauer: Aussteigen - aber wie? Ein Weg zum Leben im Grünen.
Herausgeber, Vertrieb und Copyright: Institut für Baubiologie + Oekologie IBN, D-83115 Neubeuern
4. erweiterte Auflage 1995, ISBN 3-923531-21-4
1. HTML-Fassung 6.9.2000, 2. wesentlich erweiterte HTML-Fassung 31.5.2001, 3. und finale HTML-Fassung 5.6.2001


Vorwort

Gerhard Schönauer ist ein Mann, der rechtzeitig das Aussteigen gewagt hat - zugleich persönlich und im Zeitgeschehen betrachtet. Denn das Aussteigen wird schwieriger. Viele aufgeschlossene und idealistische junge Leute probieren es - und manche fallen dabei auf die Nase.

Das muß nicht sein! Schönauer gibt aus seinem reichen Erfahrungsschatz Hunderte von Tips, wie man es machen soll, wie nicht oder warum nicht und welche Voraussetzungen materieller sowie geistiger Art die Möchtegern-Aussteiger haben sollten. Einerseits nimmt er Illusionen, andererseits aber macht er denen Mut, die schon zum Sprung ansetzen, sich aber nicht springen trauen, weil ihnen von allen Seiten her abgeraten wird.

Schönauer ist Meister darin, ohne erhobenen Zeigefinger, augenzwinkernd und humorvoll ziemlich alles in Frage zu stellen, was uns bisher als völlig normal erschien und dessen Richtigkeit wir nicht anzweifelten, weil wir den eigentlichen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang nicht erkennen. Wir sind wie dressierte Affen und tun, was Eltern, Lehrer, Kirche, Staat und Nachbarschaft verlangen. Auch gegen unseren Instinkt, gegen unsere tiefsitzende Sehnsucht nach dem Ideal - bis wir an der berühmten Sinnfrage des Daseins ankommen. Dann entstehen Neurosen, Psychosen, Aggressionen und Depressionen, dann greift man nach Drogen - von der Zigarette über Alkohol bis zu den »harten« Sachen.

Auch Nichtaussteiger können dieses Buch sowohl mit Gewinn als auch mit Vergnügen lesen. Sie werden mit einem lachenden und einem weinenden Auge zugeben, daß so ungefähr die Hälfte aller ihrer Verrichtungen und Anschaffungen fremdgesteuerte Manipulationen, beziehungsweise Zugeständnisse an Konventionen sind. Wir Deutsche sind dafür besonders prädestiniert! Ob es sich um Wohnung oder Kleidung, Arbeit oder Muße, Landleben oder Stadtleben, Gesundheit oder Krankheit, Bildung oder Spezialistentum, Selbstversorgung oder Konsum handelt, Schönauer läßt kaum ein heißes Thema aus und dreht es genüßlich durch die Mangel, bis ein kümmerliches Fragezeichen oder eine hoffnungsvolle Ernüchterung übrig bleibt.

Schenken Sie das Buch ihren Freunden und Bekannten, ihren Kindern, allen, die noch nicht völlig frustriert und verkalkt sind, die sich noch etwas sagen lassen, die mit der heutigen Entwicklung nicht einverstanden sind, welche die Hoffnung auf ein Leben mit der Natur nicht aufgegeben haben.

Wie sagte doch Hermann Hesse:

»Wirklichkeit ist wie ein Blitz,
der in jedem Steine gefangen zuckt.
Weckst du ihn nicht,
so bleibt der Stein ein Stein,
die Stadt eine Stadt,
die Schönheit schön,
die Langeweile langweilig,
und alles schläft den Traum der Dinge,
bis du, aus deinen hochgespannten Strömen her,
sie mit Gewitter »Wirklichkeit« überflutest«.

Vorwort zur 4. Auflage

Fünf Jahre nach der Erstauflage gab Gerhard Schönauer die Erlaubnis, eine vierte erweiterte Auflage seines beliebten Aussteiger-Knigges herauszugeben.

Das Büchlein war nach jedem Erscheinen schnell vergriffen. Wie wir wissen, wurde es nicht nur von Aussteigern gern gekauft, sondern auch an Ziellose, Unentschiedene und Etablierte verschenkt. Manche Leser gaben zu, sie hätten konsequenterweise ihren ganzen Lebensstil umgekrempelt.

Inzwischen hat der Lebenskünstler Gerhard Schönauer gemeinsam mit seiner Frau ein zweites Heim gebaut. Er denkt und schreibt nicht nur über den »Weg zum Leben im Grünen«, sondern setzt seine Erkenntnisse beispielgebend in die Tat um.

Wir wünschen Aussteigern und Nicht-Aussteigern gleichermaßen wertvolle Anregungen und viel Vergnügen bei der Lektüre von »Aussteigen - aber wie?«

Irmingard Schneider-Hahn
Neubeuern 1995

Das große Leid und der Ausweg

Der hastende Mensch ist sicher nicht nur von Gier gelockt, die stärksten Lockungen würden ihn nicht zu so energischer Selbstbeschädigung veranlassen können, er ist getrieben, und was ihn treibt, kann nur die Angst sein.
Konrad Lorenz

Wo steht ein Kind am Ufer und belauert Frösche? Wo sitzt ein Mann am Strand und singt ungeniert übers Meer hinaus? Wo kichern und plaudern Mädchen am Brunnen beim Wasserholen? Wo turnen Kinder mit roten Wangen und strahlenden Augen in den Bäumen? Wo sitzt die Oma vor dem Haus und strickt? Auf Korsika vielleicht, in einem griechischen Dorf oder einem sehr entlegenen Alpental. Aber in Hamburg, Frankfurt und Wien wälzen sich menschenfeindliche Blechschlangen durch die Straßen, hasten Leute in Tuchfühlung gierig durch geldschluckende Kaufhäuser und über ermüdendes Straßenpflaster, jeder jedem ein Hindernis und Konkurrent - verbissene und vergrämte Gesichter, Eile, Bedrücktheit, Angst, Verschlossenheit, Flucht, Lustlosigkeit, Kummer, Lebensüberdruß.

Jeder dritte Mensch in unserem Kulturbereich versucht irgendeinmal Selbstmord. Jeder Fünfzigste stirbt durch Selbstmord.

Was machen wir falsch? Könnten wir Wohlbefinden und Freude, Leid und Kummer messen wie etwa Blutdruck und Körpertemperatur, dann wäre es leicht, herauszufinden, wie man leben muß, damit es einem gut geht. So aber scheint mir der Selbstmord, auch der versuchte, das genaueste Maß für ein abgrundtiefes Unbehagen zu sein, woran man annähernd ablesen kann, wie man nicht leben darf und daß man anders leben muß.

Die meisten Selbstmorde werden in Deutschland, Österreich, Japan, in der Schweiz und in Frankreich verübt mit jährlich 20 bis 30 je 100000 Einwohner. In den Städten ist die Selbstmordrate höher als auf dem Lande - eine Annäherung findet statt -, unter Gebildeten wiederum höher als unter weniger Gebildeten. Am Ende der Skala der Länder stehen Italien, Griechenland und Spanien. Diese Verhältnisse sind seit einigen Jahrzehnten wenig verändert. In Süditalien ist der Selbstmord zehnmal seltener als etwa in Berlin.

Lassen wir uns von den Psychiatern und Gesundheitspolitikern nichts vormachen: Es ist nicht jeder dritte schizophren oder manisch-depressiv oder sonstwie verrückt! Sondern die Walze der Überzivilisation zerquetscht uns und läßt ein Häuflein Elend zurück.

Nur wenig helfen da Psychotherapien, Mystizismus, Sektentum, Religiosität, Romantik, Nostalgie, Naturschwärmerei, Yoga, Fitnessmärsche, Gymnastik und Fasten. Das ist alles zweifelhafte Medizin. Was uns krank macht, ist die Zivilisation, besonders die übertriebene. Das Gegenteil von Zivilisation ist Natur.

Wer an der Zivilisation nur Teilbereiche wie z.B. die Verwöhntheit des Menschen, die maßlose Vermehrung nicht zu befriedigender Bedürfnisse, das Selbstsinnlosigkeitsgefühl, Streß, Degeneration, Menschenzusammenballung, Bewaffnung, Körperverfall oder Fehlernährung als vorherrschenden Mißstand herausstellt, der drückt sich davor, unpopulär zuzugeben, daß die allermeiste Zivilisation von Übel ist. Jeder »genießt« selber allerhand Zivilisation, auf die er nicht verzichten will. Doch habe ich es selbst erlebt und werde noch öfter darauf zu sprechen kommen: Der Verzicht in vorsichtigen kleinen Schritten bringt so viel Lebensverbesserung, daß er deutlich mehr Freuden als Unannehmlichkeiten schafft.

Der Mensch hat viele hunderttausend Jahre seine Lebensumstände und sich selbst nur wenig geändert und befand sich beinahe in einer »heilen Welt« in harmonischer Anpassung, genauso wie die meisten Tiere. Gewiß, es gab Änderungen, etwa klimatische oder in der Ernährung. Aber derlei dauerte Jahrtausende. Die Zivilisation hat die Lebensverhältnisse des Menschen viel schneller verändert, als daß er sich genügend hätte anpassen können. Man sagt dem Menschen zwar hervorragende Anpassungsfähigkeit nach. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man sich nur genug anpaßt, um überhaupt zu überleben, und das haben wir bisher geschafft, oder ob man sich vortrefflich anpaßt, so daß man auch gut und freudig lebt, und das haben wir nicht geschafft. Auch darf man nicht erwarten, daß sich Lebewesen an alles anpassen können, auch wenn sie noch so viel Zeit dazu haben, etwa an ein Leben bei extremen Temperaturen. Wir können nicht erwarten, daß uns das Tabakrauchen, das uns heute krank macht, in ein paar tausend Jahren höchst zuträglich wird. Die meisten zivilisatorischen Veränderungen halte ich für so widernatürlich, daß sich der Mensch nie und nimmer anpassen wird.

Die Vorausschau geht schief

»Wenn ich dreiundfünfzig Minuten übrig hätte«, sagte der kleine Prinz, »würde ich ganz gemächlich zu einem Brunnen laufen.«
Saint-Exupéry

Die Befürworter des Fortschritts wissen immer eine endlose Liste unserer Errungenschaften aufzuzählen, »wie wir's so herrlich weit gebracht« haben. Rad und Wagen, Pflug und Mähdrescher, Radio und Auto. Medikamente, Geld und Buchdruckerei. All das hat seine Vorteile. Vieles macht regelrecht Freude. Verwunderlich nur, daß wir nach Jahrtausenden fortgesetzter Verbesserungen zwar ein hochkompliziertes, üppiges, ja überladenes, keineswegs aber ein zufriedenes oder gar glückliches Leben führen.

Wir verbessern andauernd und leiden trotzdem immer mehr. Warum eigentlich haben die so begrüßten vermeintlichen Verbesserungen das Leben insgesamt doch nicht schöner und lebenswerter gemacht? Weil die allermeisten Fortschritte nur ein schlechter Tausch sind. Jede Verbesserung bringt - als unliebsames Beiwerk - Nachteile mit sich. Der Vorteil beeindruckt uns sofort. Die Nachteile sind meistens verschleiert und folgen viel später. Wir haben ein Auto; allerlei Vorteile freuen uns sofort. Aber daß wir davon nervös werden, der Körper verkümmert, daß uns Kontaktmöglichkeiten entgehen, daß wir die Luft vergiften und daß wir schließlich im Durchschnitt bis zu vier Stunden täglich dafür aufwenden (wie Ivan Illich für den Durchschnittsamerikaner ermittelt hat, nämlich Autofahrt, Pflege und Arbeitszeit für die Kosten zusammengenommen), das fällt uns kaum auf. Das ist der ständige Aderlaß, dem wir dabei zum Opfer fallen.

Wir erhöhen den Landertrag durch Kunstdünger und Schädlingsbekämpfungsmittel. Daß wir aber dabei nützliche Lebewesen töten, Humus zerstören, den Wasserhaushalt des Bodens verändern und auf lange Sicht den Boden auslaugen und unfruchtbar machen und uns durch Gift in der Nahrung und im Trinkwasser Krankheiten holen, diese schleichenden Nachteile berühren uns erst viel später.

So freut es uns auch im Augenblick, wenn wir die Säuglingssterblichkeit mit Hilfe der modernen medizinischen Kunst verringern. Daß wir aber dabei der natürlichen Auslese ins Handwerk pfuschen, so daß die Kinder mit schlechtem Erbgut überleben und sich fortpflanzen und wir auf die Dauer von Generationen eine tödliche Erbverschlechterung davontragen, das ist der verschleierte Nachteil.

Eine Heuwendemaschine zum Beispiel arbeitet so viel wie zwanzig Leute. Aber zuerst mußten viele Arbeitsstunden geopfert werden, um das Kapital für ihre Anschaffung zu verdienen. Man begibt sich in die Abhängigkeit von Treibstoff und Reparaturwerkstatt. Man sitzt bewegungsarm, lärmgestört und bald durch Bandscheibenschäden geplagt auf dem Traktorsitz. Und was tun die eingesparten neunzehn Leute jetzt? Sie sind Fabrikarbeiter oder Büroangestellte, leben in der Stadt und leiden an Gemüt und Körper mehr als früher, als sie den Heurechen bedienten. Einige stellen womöglich gerade eine Heuwendemaschine her, andere Treibstoff in der Raffinerie. Sie brauchen dringend Urlaub, den sie als Feldarbeiter nicht nötig gehabt hätten. Sie brauchen ein Auto und starke Nerven für den Weg zum Arbeitsplatz.

Ein Dichter sieht das so. Antoine de Saint-Exupéry in Der kleine Prinz:

Er handelte mit höchst wirksamen, durststillenden Pillen. Man schluckt jede Woche eine und spürt überhaupt kein Bedürfnis mehr zu trinken.
»Warum verkaufst du das?« fragte der kleine Prinz.
»Das ist eine große Zeitersparnis«, sagte der Händler. »Die Sachverständigen haben Berechnungen angestellt. Man erspart dreiundfünfzig Minuten in der Woche.«
»Und was macht man mit diesen dreiundfünfzig Minuten?«
»Man macht damit, was man will.«
»Wenn ich dreiundfünfzig Minuten übrig hätte«, sagte der kleine Prinz, »würde ich ganz gemächlich zu einem Brunnen laufen.«

Man könnte tausend Seiten darüber schreiben, wollte man jede zivilisatorische Errungenschaft unter die Lupe nehmen. Offenbar ist der Mensch nicht dazu fähig, die an eine Verbesserung geknüpften, späteren Verschlechterungen vorauszusehen. Könnte er das, dann hätte er seit jeher alles beim alten gelassen. Daß das Mißtrauen gegen Neuerungen allmählich ins allgemeine Bewußtsein dringt, zeigt das Tauziehen um Atomwerke. Man mißtraut nicht aus Sachkenntnis im einzelnen, sondern man mißtraut der Neuerung wegen der Unabwägbarkeiten, wegen des Unvorhersehbaren, siehe Tschernobyl.

Da die heutigen Menschen durchwegs unglücklicher sind als die Menschen in naturnahen Zeiten, muß offensichtlich die Summe der Nachteile aller Fortschritte größer sein als die Summe ihrer Vorteile.

Zivilisationsmüdigkeit

Die Städte aber wollen nur das Ihre
und reißen alles mit in ihrem Lauf.
Wie hohles Holz zerbrechen sie die Tiere
und brauchen viele Völker brennend auf.
Und ihre Menschen dienen in Kulturen
und fallen tief aus Gleichgewicht und Maß,
und nennen Fortschritt ihre Schneckenspuren
und fahren rascher, wo sie langsam fuhren,
und fühlen sich und funkeln wie die Huren
und lärmen lauter mit Metall und Glas.
Rilke

Als Kind hörte ich meinen Vater oft sagen »zurück zur Natur« oder »das kommt von der Zivilisation«. Die Einsicht war da, aber die folgerichtige Verhaltensweise blieb aus. Lediglich der Sonntagsausflug und die Ferien auf dem Lande waren kleine Schritte hin zur Natur. Ansonsten wurde täglich ins Büro getrottet, in einer großstädtischen Mietwohnung gewohnt, Zeitungen wurden abonniert, Reinlichkeit und Sitten gepflegt, zum Friseur wurde gegangen, eine Krawatte getragen, die Beamten-Stufenleiter jahrzehntelang mühsam hinaufgekrochen, nach oben gebuckelt, nach unten gedrückt, wenn auch in anständiger Zurückhaltung, den Kindern Manieren und Bildung beigebracht und zum Schluß bekam man ein Studium »geschenkt«.

So geht es millionenfach. Viele spüren, es ist etwas faul in unserem Lebenswandel, wir sind naturentfremdet. Es werden Bücher geschrieben und sogar gelesen - aber weder die Schreiber noch die Leser tun etwas oder nur sehr wenig -, es werden Diskussionen entfacht, Tagungen abgehalten, allenthalben wird über Zivilisationskrankheiten geforscht und gejammert, Herzinfarkt, Krebs in jungen Jahren, Aids, Allergien, Nervosität, Schlafstörungen, Magengeschwüre, Zuckerkrankheit, Rheuma, Bandscheibenschäden, Zahnfäule, Bluthochdruck, Verkehrsunfälle. Doch was wird getan? Weitergejagd, weitergemanagt, weitergerafft, weitergeprahlt, weitergefressen, weitergefahren, aus Trägheit, Überlieferung und Vorurteil - und vor allem wegen des Vorurteils, man könne keine andere Arbeit verrichten. Der »Intelligenzler« traut sich zu, ein Segelboot zu führen oder einen Berg mit Seil und Steigeisen zu besteigen, weil Sport als gesellschaftsfähig gilt. Aber er traut sich nicht, mit Spaten und Maurerkelle umzugehen.

Das zweite Vorurteil: Man braucht unbedingt viel Geld, so viel wie man nur erreichen kann. »Man lebt soundso, das ist der Stil unserer Zeit, dazu wird man schon als Kind erzogen. Selbst wenn es daran manches auszusetzen gibt, man schwimmt einfach mit, weil das am sichersten und bequemsten ist. Nur ein paar Außenseiter sagen sich: Schluß damit, ich fange ein ganz anderes Leben an. Meistens kommt die Einsicht zu spät, und je älter man ist, um so schwieriger ist die Umstellung.

Will man auf zwei Sesseln sitzen, in der Stadt gut verdienen und obendrein ein Landleben führen, eine Stadt- und eine Landwohnung haben, von ungespritztem Gemüse leben, aber keine Erde umgraben, Landluft atmen, aber zum Supermarkt nebenan gehen, dann gewinnt man zwar einige Vorteile, wird aber das große Leid, von dem die Rede war, nicht los.

Wer nicht in der Diskussion stecken bleiben will, muß sich von allerhand losreißen. Man sollte ein unbeirrbares Selbstbewußtsein haben, damit einem der Prestigeverlust nichts antut. Immer noch herrscht die verblendete Menschenbewertung nach Geld, Bildung und Rang. Wenn der Herr Inspektor oder Amtsrichter, oder Herr Direktor oder Doktor auf einmal »nur« der Herr Müller oder Meier ist, im geflickten Pullover umhergeht und beim Kaufmann sehr preisbewußt einkauft, dann kränkt das ihn und seine Familie. Denn wie wohl sich einer fühlt, wie gesund und fröhlich einer ist, das wertet die öffentliche Meinung nicht. Aber der glückliche »Unterprivilegierte« verdient mehr Wertschätzung und hat das Leben besser gemeistert als der unglückliche »Privilegierte«.

Es wird wohl für den Anfang eine Sache besonders entschlossener, willensstarker und selbstbewußter Menschen bleiben, die sich nicht beim Gerede aufhalten, sondern ihr Leben tatkräftig ändern. Doch ist das Landleben weniger eine Frage von Schaufel und Mistgabel, als vielmehr eine Frage der Gesinnung der Liebe zur Natur und Einfachheit. Was fehlt, ist meistens das vollständige Umdenken, das stark genug ist, den Schritt ins ganz andere und bessere Leben herbeizuführen.

Stadtflucht - Landflucht

Begib dich gleich hinaus aufs Feld
fang an zu hacken und zu graben
erhalte dich und deinen Sinn
in einem ganz beschränkten Kreise,
ernähre dich mit ungemischter Speise,
leb´mit dem Vieh als Vieh, und acht es nicht für Raub,
den Acker, den du erntest, selbst zu düngen;
das ist das beste Mittel, glaub'!
Goethe

Vorerst wagen nur wenige den Schritt von der Stadt aufs Land zurück. Mehr sind es schon, die zugeben, so wäre es am besten. Aber die große Umstellung und die Wagnisse, das Neulernen, den Prestigeverlust und die eventuellen Entbehrungen scheuen sie und bleiben schließlich doch in der Stadt.

Trotz der Stadtflucht gibt es immer noch eine gewisse Landflucht, meist von jungen Leuten bäuerlicher Herkunft. Sie sind sich der Vorteile des Landlebens nicht bewußt, weil sie ihnen selbstverständlich sind: nämlich die Freiheit, die beruhigende Sicherheit, sich in noch so schlechten Zeiten aus dem eigenen Boden ernähren zu können, die hübsche Umgebung, die Selbständigkeit, die Vielfalt der Beschäftigung und die Freude am Wetter, an der Natur, an Tieren und Pflanzen. Alles Selbstverständlichkeiten, die der moderne Bauer im allgemeinen kaum schätzt. Hingegen berühren ihn die Nachteile: weniger Geld, körperliche Anstrengung, Schmutzarbeiten, Mangel an Unterhaltungslokalen. Von der Stadt mit dem vielen Geld erwartet er sich mehr Konsum, Vergnügungen und Bequemlichkeit, und er bekommt auch alles. Nur das Abwägen, was schließlich für das Lebensglück schwerer wiegt, ist Täuschungen unterlegen.

Daß unter der Landbevölkerung die Vorteile des Landlebens nur wenig gewürdigt werden, liegt an den Wertvorstellungen der Städter, die sie sich mehr und mehr zu eigen gemacht hat. Die meisten denken kaufmännisch, materialistisch und geltungssüchtig. In den bäuerlichen Nachrichtenblättern ist von Subventionen, Konferenzen, Märkten, Export und Import, von Preisen, Steigerungs- und Zuchtergebnissen, von Dünge- und Spritzmitteln und Forderungen an den Staat die Rede. Es sind Wirtschaftsblätter für Farmer. Von interessanten Erlebnisberichten, von Ratschlägen für allerlei handwerkliche Arbeiten auf dem Hof, von Schilderungen der Vorteile eines reich gemischten, giftfreien und gesunden Landbaus, von Sparvorschlägen, Blumen und Freizeit ist hier nur wenig die Rede.

Welcher Bauer will schon noch etwas von der persönlichen Freundschaft zu den Tieren wissen, wen interessiert es noch, wie gut sie sich fühlen? Da bleiben die Rinder in ihre Box gesperrt, das ganze Jahr über, und lernen weder Wiese noch Sonne kennen. Hühner werden in Batterien gepfercht, Schweine durch Kunstpräparate so aufgequollen, daß manche nicht mehr den Transport zum Schlachthof lebend durchstehen. Nur die Kinder interessiert es noch, wie prächtig der Gockel auf dem Mist stolziert - wo es den ausnahmsweise noch gibt -, wie zart die weißen Pfötchen der schwarzen Katze sind, wie das Kälbchen mit der Zunge in der Nase bohrt. Für die meisten Erwachsenen ist die Katze nur eine Mäusevernichtungseinrichtung, die anderen Tiere sind Geld, bloßes Geld. Und das Herz verkümmert.

Wie konnte es zu dieser ideellen Abwirtschaftung auf dem Lande kommen? Einerseits hat die Stadt, die Brutstätte aller Widernatürlichkeiten, durch den wachsenden Verkehr das Land beeinflußt, andererseits haben die Maschinen den Bauern entmenschlicht, und schließlich hat der Ansturm von neuen Bedürfnissen wie Auto, Fernseher, modische Kleidung und Geschirrspüler auch hier nicht haltgemacht und dadurch einen plötzlichen Geldhunger ausgelöst. Die meisten Kleinbauern gehen einem Nebenverdienst nach, obwohl sie sehr zufrieden und angenehm von der Landwirtschaft allein leben könnten. So schleicht sich der Lebensstil des städtischen Arbeiters ins Landleben ein. Und die Werbung in den Medien tut noch ein übriges zur Beschädigung der Gemüter und zum Wohle der Banken.

Land genug

Um überleben zu können, ist es erforderlich, daß wir verschiedene Dinge haben, behalten, pflegen und gebrauchen. Dies gilt für unseren Körper, für Nahrung, Wohnung, Kleidung und für die Werkzeuge. Dieses funktionale Haben kann man auch als existentielles Haben bezeichnen, da es in der menschlichen Existenz wurzelt. Es ist ein rational gelenkter Impuls, der dem Überleben dient.
Erich Fromm

Das Haus von Gerhard Schönauer in der Natur (22 kB)
In dieser Einheit von Natur, Architektur und Mensch lebt Gerhard Schönauer.
Millionen Menschen könnten das auch.

Wer sich endlich sagt, ich will es unternehmen, ich ziehe aufs Land, der braucht keine Angst zu haben vor dem Einwand: Woher soll der Boden kommen , wenn das alle täten? Erstens tun es nur wenige, die Bewegung ist noch schwach. Und zweitens gibt es Land, man muß es nur suchen.

Zur Selbstversorgung braucht man nur 0,2 bis 0,3 Hektar je Person, so daß Land genug vorhanden wäre, um sich davon versorgen zu können. Eine Familie kommt also je nach Größe mit ein bis zwei Hektar aus. Das Argument, wir brauchen Agrarimporte, unser Boden könne uns nicht ernähren, ist leicht zu entkräften. Die meisten Leute ernähren sich falsch. Es wird zu viel gegessen, insbesondere zu viel Fleisch. Für Fleisch wird aber etwa zehnmal soviel an Boden benötigt wie für die Herstellung von Pflanzenkost mit gleichem Nährwert.

Verzichtet man auf Getreideanbau und Tierhaltung, so genügt sehr wenig Fläche. Ich zitiere aus dem großen Reader's Digest Gartenbuch: »Eine vierköpfige Familie braucht für den Anbau ihres Jahresbedarfes an Gemüse, Salat und Kartoffeln rund 500 qm Land. Die dafür benötigte Arbeitszeit - zur Bestellung, Bearbeitung und Ernte - beläuft sich auf 230 Stunden.«

Für Landkäufer interessant ist, daß jederzeit in Österreich 100 000 Hektar früher bebautes Gelände brach liegen. Noch augenfälliger liegen herrliche, fruchtbare, große und zahlreiche Brachflächen im südlichen Europa, also in Jugoslawien, Italien, Griechenland, Korsika, Spanien, ja sogar in Frankreich. Wer Land braucht, hat höchstens die Qual der Wahl. Am billigsten ist es, langfristig zu pachten.

Kauft man landwirtschaftliches Gelände, so kann man als groben Richtpreis in der BRD 30 000 bis 50 000 DM für einen Hektar ansetzen, vorausgesetzt, daß die nächste Stadt, je nach Größe, nicht näher als zwanzig bis sechzig km entfernt liegt. Besonders groß ist das Landangebot im Mühl- und Waldviertel und in der südlichen Steiermark, in Deutschland in Oberfranken, im Bayrischen Wald sowie in Nord- und Ostdeutschland.

Die einstweilen noch höchst theoretische Frage, woher die Ländereien nehmen, wenn einmal die jetzt freien Flächen vergeben sind, könnte so beantwortet werden: Im gleichen Umfang, wie sich ehemalige Lebensmittelabnehmer nun selbst versorgen, können bisherige Bauern ihre Produkte nicht mehr verkaufen und müssen sich »gesundschrumpfen«, also Land verkaufen oder verpachten. Damit wäre beiden gedient: dem Siedler, der ein gesundes Leben in der Natur verwirklichen kann, und dem Landwirt, dessen Altersversorgung und Existenz gesichert ist.

Genügt aber dieser Mechanismus zunächst nicht, so gäbe es eine zweite Lösung: Steil ansteigende Besteuerung des Landbesitzes, wonach beispielsweise bis zu fünf Hektar steuerfrei bleiben, dann aber die Steuer einsetzt, so daß Flächen über dreißig oder fünfzig Hektar unwirtschaftlich werden. Indessen glaube ich, daß solche Gewaltmaßnahmen nie nötig werden, so daß uns das Jammergeschrei der Großgrundbesitzer erspart bleibt.

Daß unsere Landschaft mit Kleinsiedlerhöfen übersät würde, wäre zwar keine Zierde, aber als notwendige Folge der Überbevölkerung immer noch weniger schmerzlich als das Leben in unseren gespenstischen Großstädten.

Inzwischen machen die Behörden immer mehr Auflagen bei einer Genehmigung von Siedlungsflächen - besonders im sogenannten Außenbereich -, so daß sich die meisten schon davon abschrecken lassen. Am besten ist immer noch, alte Gehöfte instandzusetzen und z.B. als Gärtnerhof oder als Ökosiedlung zu nutzen.

Mein Weg in die Freiheit

Freiheit ist ein Zustand des Geistes - nicht die Freiheit von etwas, sondern das Gefühl der Freiheit , der Freiheit, alles anzuzweifeln und in Frage zu stellen, und zwar so intensiv, aktiv und kraftvoll, daß sie jede Art von Abhängigkeit, Sklaverei, Anpassung und Anerkennung von sich wirft.
Krishnamurti

Daß es mir jetzt gut geht, verdanke ich unter anderem dem Übelstand, daß es mir einst besonders schlecht ging. Meine Kindheit und frühe Jugend waren vom elterlichen Millieu geprägt: spießbürgerlich und strebsam. Erziehung zu Tüchtigkeit, Ordnung und Fleiß, und zwar, da dies alles unnatürlich ist und zunächst von jedem Kind abgelehnt wird, mit Drohung, Belohnung und Strafe. Eine Dressur vom Menschen zum Bürger. Eine Gewaltmaßnahme, die mit Reinlichkeits- und Anstandsregeln begann und mit der Einschulung zur Versklavung führte.

Die Freiheitseinschränkung, in einer Großstadtwohnung eingesperrt zu sein und allenfalls gelegentlich einmal an der Hand der Mutter mit zum Einkaufen zu gehen, dann die Einschulung ins »Kindergefängnis«, stundenlang auf der Bank sitzen zu müssen und unter Androhung von Strafe still zu bleiben und aufzupassen, diese Zucht trifft jeden Menschen zutiefst in seiner Würde, auch wenn er sich dessen nicht bewußt wird. Später kommen noch Leistungsdruck, fortgesetzte Kontrolle und Anfeuerung hinzu: »Was hat der Lehrer gesagt?«, »Was hast du für Noten?« Schließlich kommt noch die Nötigung zur Eile hinzu: »Bist du immer noch nicht fertig«, »Trödle nicht so!«, »Tummel dich ein bißchen!« Man wird bevormundet, gegängelt, gedemütigt, angetrieben, bestraft, bedroht, »erzogen« - wie die Dressur heißt - und man muß schon ein Ausbund an Robustheit und Instinktsicherheit sein, um dabei nicht zutiefst und lebenslänglich geschädigt zu werden, geschädigt in der Fähigkeit, jemals ein glückliches Leben führen zu können.

Als Kind habe ich noch geglaubt, das muß alles so sein, die Eltern und Lehrer sind unfehlbar, es wird schon gut und richtig sein und zum rechten Ziel führen, wenn ich einmal groß bin. Leisten, dulden, entbehren und gehorchen, das alles muß wohl der einzige Weg des Kindes zum herrlichen und freien Dasein der Erwachsenen sein. Aber mein Instinkt war oft dagegen. Manche Kinder laufen davon. Ich war zu vorsichtig, ich erwog die Folgen. Allenfalls ließ ich meiner Empörung in gelegentlichen und höchst berechtigten Frechheiten ihren Lauf, was allerdings statt Befreiung nur Schläge einbrachte. Gerechterweise hätten die Erwachsenen die Prügel beziehen müssen.

Kein gemeinsames Spiel, keine gelöste Fröhlichkeit, selten eine rechte Freude, man sang nicht, es gab wenig Zärtlichkeit, kaum liebevolle Zuwendung, weil ja alle Zeit und Energie dem Götzendienst gewidmet war, den Götzen Leistung, Ansehen und Geld. Jedenfalls wurde mir als Halbwüchsigem klar, daß dieses Klima fürchterlich ist. Alle Menschen erschienen mir nur in drei Gruppen: Vorgesetzte, Konkurrenten und Untergebene. Dennoch lernte ich auch gute Bereiche des Lebens kennen. Durch die alljährliche Sommerfrische, das wirklich Gute, das ich von meinen Eltern erhalten habe, waren mir von Kindheit an das Landleben und das Wandern bekannt. Das war das einzig wahre Leben, alles andere war schlecht. So drängte ich mehr und mehr fort von dem zutiefst gehaßten Zuhause. Jede freie Zeit, alle Ferien ging ich fort auf Spaziergänge, Radfahrten, Bergbesteigungen, freilich auch zu Vorträgen, in Museen, ins Kino und Theater. Mit dem Studium kam endlich die gänzliche Befreiung aus dem elterlichen Haushalt. Mit ein wenig Ferienarbeit konnte ich mir weite Fahrrad- und Zeltreisen finanzieren. Dabei lernte ich äußerste Genügsamkeit, konnte von Haferflocken, Maisbrei und Äpfeln wochenlang prächtig leben und hatte nicht einmal eine Luftmatratze im Zelt. Das machte mir nichts aus. Erst jetzt spürte ich die Menschwerdung. Vorher war ich ein gequältes Dressurtier.

Auf meinen frühen Reisen nach Kampanien und Sizilien erfuhr ich erst, was Menschsein für eine Freude machen kann. Und heute, nachdem ich soviele Menschen kennengelernt habe, bedauere ich sehr, daß es die meisten Menschen bis an ihr Lebensende nicht erfahren. Nie zuvor hatte ich Menschen gesehen, die mitteilsam und fröhlich, gastfreundlich und sangesfroh, lachend und schwatzend, locker, hilfsbereit und liebevoll waren. - Damals vor 20 Jahren. Heute ist die Verderbnis durch den Tourismus, durch Überzivilisation, Industrialisierung und Geld auch dort schon fortgeschritten.

Wenn mir ein alter Mann in einer entlegenen, steppenartigen Landschaft von seinem Käse und Wein anbot und mir antrug, statt im Zelt in seiner Hütte zu schlafen, wenn er mir sein Lager zeigte, einen Strohhaufen neben seinem Maultier, wenn er Zufriedenheit, Ruhe und Wohlbehagen ausstrahlte, dann konnte ich mich der Einsicht unmöglich verschließen, daß Armut in der Natur und ein gesundes Leben durchaus vereinbar sind, ja vielleicht sogar zusammengehören. Oft kam ich aus dem Staunen nicht heraus, wie eng mein Lebenskreis bisher war und welche Weiten des Lebensglücks es gab, von denen ich keine Ahnung hatte.

Ich brauchte keine weiteren Beweise mehr: Das Leben, in das ich hineingezwängt worden war, war vollkommen falsch, Prestige und Geld tragen nur wenig zur Lebensfreude bei. Freiheit, Landleben, völliges Umdenken in den Bewertungen, das schien mir der einzig richtige Weg zu einem glücklichen Leben. Noch nie hatte ich mich zwei Monate lang so wohl gefühlt wie auf diesen Reisen. Und hätte ich eine winzige Rente bekommen, so hätte ich dieses Vagabundenleben weitergeführt und wäre nie wieder heimgekehrt.

Ich brauchte Geld, um das Leben, welches mir von nun an erstrebenswert schien, verwirklichen zu können. Nach dem Studium hatte ich gemeinsam mit meiner damaligen Frau zehn Jahre lang hart gearbeitet und eisern gespart, eine viel zu lange Zeit, wie ich heute einsehe.

Endlich war es so weit: Grundkauf, Kündigung, Hausbau und Obst pflanzen. Trotz Krisen und Lasten war das neue Leben in Freiheit und Natur herrlich: endlich kein Weckergerassel mehr, keine Pflichten, außer den selbstgewählten, keine Termine, kein Telefon, keine Eile. Gemächlichkeit bei allen Unternehmungen. Aber auch nie Langeweile. Ständiger Kontakt mit Wetter, Wald, Wiese, Blumen und Tieren. Hätte ich die richtige Frau gehabt (meine Ehe scheiterte leider) oder auch nur einen passenden Freundeskreis, so wäre ich unter 100 000 Menschen der glücklichste gewesen. Und hätte ich die Erkenntnis von der richtigen Lebensweise früh genug gehabt und mich mit mehr Mut früher von den traditionellen Bahnen losgerissen, dann hätte ich wenigstens zehn Jahre mehr an schönem Leben retten können.

Naturapostel und Geschäftemacher

»Les extrèmes so touchent«
(Die Extreme berühren sich)
Französische Redensart

Ich bin ungerecht, aber mein Gefühl kann nicht anders: Ich weiß, viele möchten anders, glauben sich aber durch alle möglichen Umstände zum unguten Leben gezwungen. Viele wissen es nicht besser. Es belustigt mich nun einmal und reizt mich zum Spott, wenn ich am Badestrand das käsebleiche Büromännchen mit den Zahnstocherbeinchen und dem Kürbisbauch seine eckigen Freiübungen machen sehe und wenn ich im Wald dem Morgenläufer im grellen Streifentrikot mit Vereinsabzeichen und Stollenschuhen begegne. Sie kommen mir wie Hampelmänner vor. Sicherlich es es nicht schlecht, was sie tun, aber viel nützt es auch nicht. Wie wenn der Raucher vor die Tür tritt und einmal tief Luft holt. Lauter Theater: Radwandertag, Fitnessmärsche, Volkswandertage, fünf Minuten Morgengymnastik, der wöchentliche Safttag. Dieselben Leute, die so tapfer herumturnen, lassen sich mit dem Lift auf den Berg befördern, mobilisieren ihr Auto für einen Weg von 500 Metern unter dem Vorwand, so wenig Zeit zu haben und beschaffen sich im Büro einen Stuhl mit Rollen unter den Füßen, damit sie vom Schreibtisch zu den Akten fahren können, während oft die beste Tätigkeit für sie wäre, aufzustehen und umherzugehen. Diese Gesundheitssportler und Safttagstanten machen eine Kur, eine Behandlung. Falsch leben, aber ständig etwas daran reparieren.

Als ob man nicht gleich richtig leben könnte, von früh bis spät natürlich und gesund. Stundenlange Spaziergänge, Bergbesteigungen, leichte kurze Feldarbeiten, nie länger als eine Stunde die gleiche, Müßiggang, Spiel und Unterhaltung, gemischte, natürliche aber spärliche Kost, das bringt die ersehnte Ausgeglichenheit, Zufriedenheit und Gesundheit. Nicht das Gewaltsame, Krampfhafte, Kurze und Eilige. Ich meditiere nicht, mache keine Yogasitzungen, keine Morgengymnastik und keinen Dauerlauf, und die glücklichsten Menschen, die Hirten und Höhlenbewohner, von denen schon die Rede war, kämen sicher nicht auf solche Ideen. Ich lebe gelassen und natürlich: Mit Sonnenaufgang oder mit Abbruch des Vogelkonzertes wache ich auf und bin ausgeruht, oder ich schlafe ausnahmsweise noch ein Stündchen oder zwei. Ich schlafe immer herrlich. Nach dem Aufstehen zieht es mich in den Garten. Ich mache ein paar Schritte im taufeuchten Gras, atme die leichte Morgenluft ein und sehe mir das Wetter an. Die Vögel zwitschern, alles ist friedlich. Ich schreibe einen Sachbericht. Diese Schilderung dient nicht dazu, romantische Sehnsüchte zu wecken. Aber die hier geschilderten »Belanglosigkeiten« sind eine wichtige Voraussetzung für Wohlbefinden und Gesundheit.

Nach der Dusche ein gemütliches Frühstück, ein wenig Arbeit im Garten oder im Haus, ein ausgedehnter Spaziergang. Ich beobachte alles: Ein Igel marschiert auf hohen Beinen unter den Haselbusch, eine Amsel schimpft, weil die Katze herumschleicht, ein Riesenmohn ist aufgegangen und klatscht mit seinem Rot in die grüne Wiese, die Schaufel an der Wand ist über Nacht umgefallen.

Scharlatanerie oder schwärmerische Ahnungslosigkeit ist es, wenn einer verkündet, wie man mit Knoblauch oder Brennesseln wahre Wunder der Gesundheit vollbringen kann. So einfach geht das nicht! Aber eine bequeme Heilslehre findet mehr Anhänger als eine unbequeme.

Es wird beschworen und abergeglaubt und schon geraten die Naturverfechter und Industriefeinde in einen Topf mit Mystikern und Geschäftemachern. Der biologische Landbau, der Gift vermeiden will - sonst nichts! -, ist sehr zu befürworten. Aber sogleich wird er ausstaffiert mit Zeitschriften von Vereinen, mit geheimnisvollen Wurzelkräften, mit einem Magnetismus, über den Menschen, Tiere und Pflanzen miteinander in Verbindung stehen sollen, mit magischen Lebensenergien im Boden und einem Märchenmilieu, wonach die menschliche Phantasie anscheinend lechzt.

Gerade dieser Hokuspokus verhindert die Anerkennung des naturnahen Lebens. Denn wer an nüchternes Denken gewöhnt ist und nur glaubt, was ihm begreiflich gemacht oder bewiesen wurde oder was er selbst erlebt hat, kommt leicht zu dem voreiligen Schluß, die Leute, die zurück zur Natur wollen, seien alles abergläubische Schwärmer, keine Realisten.

Der Rationalismus wird gern angeklagt, Urheber des heutigen Unglücks zu sein. Aber nicht die Aufklärung, die Vernunft, die Wahrheitssuche und die Entmythologisierung der Welt haben uns das »technische und kapitalistische Unheil« beschert, sondern der Mißbrauch der Erkenntnis entweder zur verantwortungslosen Bereicherung oder in gutem Glauben zu schlechten Zwecken. Wenn man weiß, wie Beton gemacht wird, muß man noch lange keine Hochhäuser bauen. Wenn man die Atomspaltung kennt, muß man noch lange keine Atombombe herstellen. Wenn man DDT hat, muß man noch lange nicht damit die Welt vergiften. Man kann trotz aller Wissenschaft und Kenntnis einfach und bescheiden leben, ohne sich zu bereichern oder das Leben und die Welt entscheidend zu verändern. Man muß lediglich wissen, daß das beste Leben das natürliche ist. Keineswegs wäre es gerechtfertigt, als Reaktion auf den Rationalismus eine Spuk-, Zauber-, Ritual- und Mythenwelt an die Stelle der aufgeklärten setzen zu wollen. Denn die irrationalen Weltanschauungen waren und sind verderblich, brachten Kriege, Menschenopfer und Hexenverbrennungen und vor allem naturwidrige Lebensregeln mit sich.

Schließlich darf eine ganz gefährliche Menschengruppe nicht unerwähnt bleiben. Das sind die Geschäftemacher. Kaum hat man die Spritzmittel aus dem Garten verbannt, schon flattern einem Prospekte über natürliche Spritzmittel ins Haus, sündhaft teuer und - angeblich aus Pflanzenextrakten hergestellt. Den Komposthaufen sollen wir nicht etwa den Regenwürmern überlassen. O nein, er soll mit einer besonderen Mikrobenkultur geimpft werden und einen Bretterkäfig für die Durchlüftung bekommen - womöglich aus Teak Holz und dreimal imprägniert, der teurer ist als das Gemüse, das je auf diesem Kompost wächst. Rascheste Kompostierung, maximale Erträge, Spitzenqualitäten, genau das ist das Vokabular, von dem wir uns befreien wollen. Manchmal habe ich den Eindruck, als ob es die gleichen Manager sind, die uns Fortschritt, Industrie, Hektik und Umweltverschandelung beschert haben, wie jene, die jetzt die »grüne Revolution« machen und neuerlich daran verdienen.

Sparsamkeit und Lebenspraxis

Wer einem Menschen einmal helfen will,
der schenkt ihm einen Fisch.
Wer einem Menschen immer helfen will,
der lehrt ihn fischen.
Jüdisches Sprichwort

Durch den Geldmangel in meiner Jugend war mir große Sparsamkeit immer selbstverständlich. Seit ich verdient habe, stand auch schon mein Sparziel fest: Ich will mich später »freikaufen«. So brauchte ich in dieser Hinsicht keinen Gesinnungswandel. Bei den meisten jungen Leuten heute wird es anders sein. Sie sind verwöhnt und glauben, dabei ein glücklicheres Leben zu führen als in Genügsamkeit. Es wäre Sarkasmus um des Effektes wegen, wenn ich behaupten wollte, wir leiden an zu viel Geld. Das ist es nicht, aber wir leiden unter der Arbeit und den Zwängen, dieses nicht sehr nötige Geld zu beschaffen.

Die Genügsamkeit fällt einem, zu Beginn vor allem, solange sie noch nicht selbstverständliche Gewohnheit ist, leichter, wenn man sich bei jeder Einsparung, bei jedem Konsumverzicht sagt, so und so viele Stunde brauche ich jetzt weniger zu arbeiten, kann ich früher mein freies Landleben beginnen. Im unverdorbenen Naturmenschen drosselt schon der Instinkt den Arbeitseifer. Wir hingegen brauchen eine verstandesmäßige Hilfe, um die anerzogenen Arbeitsverherrlichung abzubauen. Viel arbeiten, viel verdienen und wieder ausgeben, ist nicht gescheiter, als Wasser in ein Faß ohne Boden zu schütten. Dennoch huldigt ein Großteil der Bevölkerung diesem Prinzip und kommt sich dabei klüger als die anderen vor. Den halte ich für gescheiter, der wenig Geld verbraucht und dafür das Vorrecht genießt, wenig arbeiten zu müssen. Man kann sich leicht im Verbrauch von Zigaretten, Bier, Fleisch, teurer Fertigkost und Gefrierkost einschränken. Man kann auch Waschpulver und Strom sparen, mäßig heizen, Kleidung, Auto und Wohnung sowie Wohnungseinrichtung billig wählen und so lange benützen, bis diese Dinge unreparabel aufgebraucht sind und sie nicht schon erneuern, wenn Mode oder Werbung dazu verführen. Ein Urlaub im Bayerischen Wald ist in mancher Hinsicht schöner als einer in Tunesien, Rom oder Teneriffa. Man kann am Sparen Freude bekommen. Ich heize auf 19 Grad, ziehe einen warmen Pullover und ganz dicke Socken an, freue mich an der Ersparnis - und bekomme nahezu nie Schnupfen oder Grippe. Dies ist nicht die Freude des Geizkragens, der sich ja nur an der Anhäufung von Vermögen freut, sondern ich verschönere mit Sparsamkeit das Leben: Sparsamkeit erst schenkt uns Freiheit, Gesundheit, Geruhsamkeit und Naturnähe. Ich betrachte Sparen als Sport.

Man kann Gurken in einer elektrischen Küchenmaschine hobeln. Man kann sie aber auch mit dem Messer schneiden oder mit einem Brettchen mit eingesetztem Messer, dem Gurkenhobel. Tut man letzteres nur in dem Gefühl, eine Küchenmaschine ist mir zu teuer, so ist das schlecht. Man muß sich sagen: Die Maschine lärmt, verbraucht Strom, zu dessen Erzeugung Landschaft verschandelt wird und um sie zu bezahlen, müßte man 20 Stunden arbeiten und nach 6 bis 8 Jahren ist sie sowieso unbrauchbar. Darum ist es besser, mit der Hand zu hobeln. Fährt man Rad, nur weil man sich kein Auto leisten kann, so ist das schlecht. Sagt man sich aber, Radfahren ist gesünder, leiser, hübscher in der Landschaft und erspart die furchtbar viele Arbeit, die man für das Auto aufbringen müßte, um es zu verdienen, dann fährt man viel freudiger Rad, dann spart man lieber und leichter. Man kann den Rasen mit dem Rasenmäher oder mit der Sense schneiden, Erbsen aus der Dose nehmen oder dämpfen. Immer wird die sparsamere Arbeit eine ganze Reihe von Vorteilen haben, und derer sollte man sich bewußt werden.

Das einfache Leben ist nicht nur durch Wareneinsparung gekennzeichnet, sondern auch durch Arbeitseinsparung. Den Hausfrauen wurde nicht zuletzt deshalb die Hausarbeit abstoßend, weil sie viel zu viel Unnötiges gearbeitet haben. Man kommt mit halb so viel Geschirr und Besteck aus, Fenster putzen, Staub wischen, Schuhe polieren, aufkehren, Gläser säubern, Wäsche bügeln, Böden wischen... meinetwegen, aber viel, viel seltener! Stattdessen spazieren oder baden gehen, mit Kindern spielen oder in der Sonne liegen, Blumen pflücken, Pilze sammeln oder Freunde besuchen. Dann macht der Haushalt wieder Freude.

Autarkie und Spezialistentum

Wer einen Beruf ergreift, ist verloren.
H.D. Thoreau

Jeder Berufstätige ist heute ein Spezialist und sehr abhängig von Mitmenschen, die er kaum kennt. Das ist noch nicht lange so. Früher waren die meisten, damals noch bäuerlichen Familien weitgehend autark. Nahrungsmittel, Wolle, Textilien, Bauholz, Brennholz, Haus- und Arbeitsgeräte wurden in überaus vielseitiger Beschäftigung auf dem eigenen Hof hergestellt. »Noch bis spät ins 18. Jahrhundert wurden 99% aller Nahrungsmittel der Welt in einem Umkreis erzeugt, den der Verbraucher von seinem Kirchturm oder Minarett her überblicken konnte« (I.Illich: Fortschrittsmythen).

Der Spezialist leistet mehr als der Universialist? Mehr leisten und verdienen ist aber das Idol unserer Zeit, so daß die Nachteile des Spezialistentums übersehen werden. Abgesehen von Gemüts- und Körperschäden durch die Einseitigkeit der Arbeit, lebt der Spezialist - und er mag noch so ein hohes Tier sein - in einer unterschwelligen Angst, allen möglichen Leuten ausgeliefert zu sein. Nicht nur den Vorgesetzten und Untergebenen, sondern auch noch dem Klempner und Elektriker, dem Briefträger und dem Kaufmann, dem Finanzbeamten, Maurer, Kunden und Öllieferanten, dem Automechaniker und dem Schneeräum- und Müllabfuhrdienst. Sogar die Regierungsspitzen sind den Wählern und der Industrie ausgeliefert und viel unfreier als ein kleiner Bauer vor 200 Jahren.

Der heutige Spezialist leidet gleichzeitig an Überheblichkeit und Minderwertigkeitsgefühl. Sein Spezialkönnen überbewertet er und hält jeden Laien dieses Faches für unfähig, auch nur eine Spur von der Sache zu verstehen oder zu können. Umgekehrt hält man sich zu allem unfähig, was man nicht studiert oder gründlich und jahrelang gelernt hat. Ein 14 jähriger Schüler ist universeller und lebenstüchtiger als die meisten Spezialisten auf der Höhe ihrer Laufbahn. Die eingebildete Unfähigkeit führt dazu, daß man sich von Spezialisten mißbrauchen und betrügen läßt. Es wird einem vom Verkäufer etwas »aufgeschwätzt«, vom Beamten etwas »vorgemacht« und vom Arzt etwas »weisgemacht«. Ein halbwüchsiger Schüler traut sich ohne weiteres zu, rechnerich abzuschätzen, ob man mit Heizöl oder Strom billiger heizt. Zur Not schlägt er gewisse Daten nach. Der so intelligente Richter, Arzt oder Musiker hingegen läßt sich von einem Vertreter oder einer Werbebroschüre in einer bestimmten Angelegenheit wehrlos hinters Licht führen. »Das sind ja Wärmetechniker, die werden's schon wissen.« Ebenso, wenn der Wasserhahn tropft. Der moderne Spezialist vertrottelt im gleichen Maß in berufsfremden Dingen, wie er sich in seinem Fach vervollkommnet. Und wenn einer sein Wehwehchen selbst kurieren will, dann wird ihm gar Verantwortungslosigkeit vorgeworfen, denn heilen kann nur der Arzt.

Unsere Gesetzgebung ist gefährlich. Sie fördert Allgemeingeschicklichkeit, Eigeninitiative, Vielseitigkeit, Erfahrenheit und Wendigkeit nur in Einzelfällen, eher unterbindet sie diese sogar durch Strafandrohung. Anlaß hierfür sind die gewerblichen Interessen, denn wenn die Leute zu viel können und selber machen, verlieren die Profis ihre Gewinne. So wird Universalität unter dem verlogenen Vorwand des Sicherheitsbedürfnisses erschwert.

So wie jeder mit ein wenig Information und genügend Bemühung kochen, Brot backen und seine Nahrung selber anbauen kann, so kann jeder fast alles, was zum gesunden, behaglichen Leben nötig ist. Wer nichts kann, kann beinahe schon alles. Der Spezialist versteht sich nur auf weniges.

Wer viel auf Handwerker angewiesen ist, muß viel zahlen. Wenn nur irgend möglich, sollte man seine Möbel selber bauen, für das Obst sorgen und Gemüse aus dem eigenen Garten ernten und vor allem beschädigte Sachen instandsetzen. Ich repariere - mit unsicherem Ausgang - auch schon mal ein Radio, Auto oder einen Trockenrasierer und habe das alles nie gelernt. Was ich speziell für Schule und Beruf systematisch gelernt habe, kann ich fast nicht brauchen. Trotzdem traue ich mir zu, alles zu können, was ich brauche. Freilich kann ich nichts vollkommen. Aber mir genügt meine Fertigkeit. Zum einigermaßen unabhängigen, autarken Leben gehört auch die Bescheidenheit im Anspruch. Selbstgemacht ist besser, auch wenn es kleine Mängel hat. Außerdem sieht es persönlicher und natürlicher aus. Man hat viel Abwechslung und spart eine Menge Geld. Das ganze Lebensgefühl ist gehoben, wenn man sein Essen - von der Erde bis zum Tisch - selbst macht und von Gegenständen aus eigener Hand umgeben ist. Im bäuerlichen Bereich gibt es noch solche Universalgenies, aber sie werden allmählich sehr selten werden, weil alle Arbeit dem Gewinndenken untergeordnet wird.

Mein Landbau ohne Gift

Medizin ist ein Viertel,
gesunder Menschenverstand drei Viertel.
Indisch

Ein paar Bücher über den Anbau von Blumen, Gemüse und Obst waren der Anfang. Dann habe ich meine Wiese umpflügen lassen und mit meiner kleinen Hackmaschine zerkrümelt. Schließlich habe ich Kunstdünger gestreut, trotz aller Abneigung gegen chemische Produkte. Der Boden war krank. Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte hatte man gemäht, das Heu abgehobelt und keine Nährstoffe ersetzt, weder Stallmist noch Kompost oder Kunstdünger gegeben. In unserer Abneigung gegen Unnatürliches sollten wir sachlich bleiben und uns vor Vorurteilen und Gefühlsduselei hüten. Trennen wir scharf solche Stoffe, die natürlicherweise im Boden vorkommen oder diesen äußerst ähnlich sind und sich in sie verwandeln von jenen, die nur ein Kunstprodukt des Menschen sind, ihresgleichen in der Natur nicht haben und daher auf die Stoffwechselvorgänge der Lebewesen nicht abgestimmt sind, also nur lebensfeindliche Eigenschaften haben, was ja oft ihr Zweck ist.

Kalkstein ist fast in jedem Boden vorhanden und außerdem beinahe für alle Pflanzen lebensnotwendig. Außerdem reguliert er den Säuregrad des Bodens. Gemahlener Kalkstein ist Düngekalk, ein »Kunst-«Dünger also, der reines Naturprodukt wie das ebenfalls nützliche Gesteinsmehl ist und nicht aus der chemischen Fabrik stammt. Auf eine saure Wiese - »sauer« ergibt die Bodenuntersuchung - oder auf den Acker Düngekalk streuen, ist eine lebensfördernde Maßnahme, die mit Vergiftung nichts zu tun hat. Kali ist ebenfalls ein allgegenwärtiger Bodenbestandteil. Zu wenig davon ist schlecht, zu viel auch. Gegen Kalimangel wäre Jauche am besten. Ich hatte keine und habe schwefelsaures Kali gestreut. Das kann man immer noch als eine leidlich natürliche Maßnahme ansehen. Es stammt aus Salzlagern im Boden, die das Meer dort vor Jahrmillionen erzeugt hat. Eine solche Kalibeigabe reicht für viele Jahre aus, weil sie kaum ausgewaschen wird, so daß man von so einer ganz seltenen, etwas gewaltsamen »Bodenfütterung« keine erhebliche Schädigung der Bodenlebewesen befürchten muß. Genauso steht es mit Phosphatdüngern. Etliche stammen aus natürlichen Minerallagern, von denen einige durch Vogelexkremente zustandegekommen sind. Ein ähnliches Produkt, aber künstlich erzeugt, ist das Thomasmehl, ein Abfallprodukt der Stahlerzeugung. Derlei Kali- und Phosphatdünger sind keine naturwidrigen Stoffe. Ein Großteil unserer Gesteine und Ackerböden, die hauptsächlich zerkleinertes Gestein und Humus (=verwitterte Pflanzen- und Tierreste) sind, bestehen daraus, nur mit dem Unterschied, daß der Boden diese Stoffe in Verbindungen (meist mit Kieselsäure) enthält, die nur spurenweise im Wasser löslich sind und deshalb den Pflanzen nur beschränkt zur Verfügung stehen. Die Pflanzen, die ja nur »trinken« können, lösen mit Saftausscheidungen ihrer Wurzelhaare, ebenso wie Bakterien und andere Mikroben, sehr langsam die mineralische Materie auf und ziehen sie so allmählich in den Stoffwechsel der Lebewesen herein. Wenn wir nun Mineraldünger streuen, helfen wir etwas nach, füttern die Pflanzen also mit dem, was sie sich sowieso aus dem Boden holen, aber dort stellenweise viel zu wenig vorfinden. Im Prinzip ist der Vorgang also nicht anders als wenn wir den Boden bewässern. Vorteile der Naturdünger, von Jauche, Mist, Kompost und Gründüngung sind, daß sie Humus bilden, vielerlei Nährstoffe, viel unterschiedlichere, als die Mineraldünger enthalten, und reich an Mikroben, Würmern, Insekten und anderen Lebewesen sind. Eine gewisse Vorsicht bei der Wahl von Mineraldüngern ist angebracht. Immer sind die langsam wirkenden, schwer löslichen schonender, gefahrloser und deshalb vorzuziehen, zumal sie auch nicht so leicht vom Regen aus dem Boden und in unsere Gewässer gewaschen werden und dadurch auch noch sparsamer sind. So ist zum Beispiel Thomasmehl dem Superphosphat vorzuziehen, Düngekalk dem gelöschten oder gebrannten Kalk. Überdüngung ist ebenso schädlich wie Überfütterung bei Mensch und Tier. Deshalb gehe ich mit Mineraldünger äußerst sparsam um. Selbst mit Jauche ist eine Überdüngung (zu viel Kali) möglich, während man mit Stallmist, Kompost oder Gründüngung so leicht nichts übertreiben kann. Stallmist fehlt mir. Als guter Ersatz dient die Gründüngung. Pflanzen, wie Lupinen, Ölrettich, Raps oder Klee, werden in ausgewachsenem Zustand da, wo sie gewachsen sind, nach dem Mähen einfach liegen gelassen oder eingehackt.

So wurde schließlich aus der gehaltlosen, sauren Wiese ein überaus fruchtbarer Ackerboden, und ich habe mir zunächst einmal für den Eigenbedarf Gemüse, Salat, Gewürze und Kartoffeln angebaut und auf Blumen auch nicht verzichtet. Schließlich habe ich Obstbäumchen gepflanzt, Beerensträucher und Erdbeeren. Jedes Jahr ist es ein langes und freudiges Erlebnis, zu beobachten, wie die Pflanzen aufgehen, sich entwickeln, blühen und fruchten. Jetzt im dreizehnten Jahr meines Landbaues finde ich daran dieselbe Freude wie am Anfang. Aber der Bauer, der mit großen Maschinen Monokulturen anlegt, betätigt sich mehr als Maschinist und hat solche Freude längst eingebüßt.

Wer Neuling ist und erst sein Selbstvertrauen stärken will, sollte sich im ersten Jahr mit den allergenügsamsten Gewächsen begnügen. Ich schlage vor: Salat, Erbsen, Buschbohnen, Radieschen, Schnittlauch, Kartoffeln, Gartenerdbeeren, Salatgurken, Sonnenblumen, Rudbeckia, Klatschmohn, türkischer Riesenmohn, Ringelblume, Kapuzinerkresse und Rittersporn. Dabei kann nicht viel mißlingen.

Leider wird es allen so gehen: Am tüchtigsten unter den Gewächsen ist immer das Unkraut. Da hilft nichts als hacken oder ausrupfen. In neuerer Spezialliteratur findet man auch Hinweise für bestimmte Pflanzenkombinationen und Pflanzenfolgen, die den Unkrautwuchs eindämmen. Chemisch totspritzen ist eine arge Sünde. Die Schonung des Bodens und des Lebens muß einem ins Gefühl übergehen. Es muß einem ebenso weh tun, mit Giften herumzuspritzen, wie sein Baby zu vergiften.

Freilich bleiben unliebsame Überraschungen nicht aus. Mir sind in 800 Metern Höhe am Anfang die Tomaten und Gurken im Oktober erfroren, die Zwiebeln zu klein geblieben, der Schnittlauch verunkrautet und der Hasenbesuch zu viel geworden. Im zweiten Jahr war der Kartoffelkäfer zu Besuch. Es war eine Kleinigkeit, ihn auf der kleinen Fläche für eine Familie abzusammeln. Es wäre den Versuch wert, ihn einmal ungestört gedeihen zu lassen. Ob nicht die Natur ein Regulativ hervorbringen würde? Übrigens ist er viele Jahre lang nicht wieder aufgetreten. Möglicherweise haben sich seine Feinde eingefunden. Meine Stachelbeerbüsche waren im dritten Jahr von kleinen, grünen Raupen (Larven der Stachelbeerblattwespe) befallen, die alle Blätter abgefressen haben und dann auf die roten Johannisbeeren übergesiedelt sind. Die Ernte war hin, aber gespritzt habe ich trotzdem nicht. Ein paar Schubkarren Kompost habe ich unter die Sträucher verteilt, zum Trost sozusagen. Und richtig, die Natur hat sich selber geholfen: Es müssen sich die natürlichen Feinde der Raupen eingefunden haben, ich weiß nicht, wie sie heißen und muß es auch nicht wissen und erforschen. Jedenfalls hat sich das vielzitierte »natürliche Gleichgewicht« wieder eingestellt, und im nächsten Jahr gab es kaum noch Befall, im übernächsten und auch weiterhin eine riesige Ernte. Mit den grünen und schwarzen Blattläusen auf den Obstbäumen ist es mir ähnlich gegangen: Ringelblätter, Kümmerwuchs, ein ganzer Pelz von Läusen, Ameisenscharen. Im Jahr darauf waren die Marienkäfer mit ihren gefräßigen Larven massenhaft zur Stelle. Über 50 habe ich auf einem nicht einmal mannshohen Apfelbäumchen gezählt. Und seither gibt es zwar noch Läuse, aber belanglos wenige, die meisten werden aufgefressen. Es steht ja ein ganzes Heer gegen die Läuse bereit: Schlupfwespen, Ohrenkriecher, Florfliege, Schwebefliege und vor allem Marienkäfer. Ich glaube, es ist gut, daß die Läuse nicht vollständig verschwinden, damit ihre Feinde nämlich nicht abwandern, sondern ständig Wache halten. Hätte ich Chemikalien gespritzt, wären nicht nur alle diese Wächter zugrunde gegangen, sondern auch völlig unbeteiligte Lebewesen, Würmer, Käfer, Mikroben, von denen der Boden voll ist und die für das Gedeihen der Pflanzen wichtig sind. Außerdem würden die Gifte, deren Hauptmenge ja zu Boden fällt, durch die Wurzeln ins Obst gelangen, zum Teil auch durch die Blätter.

Als Nachteil muß ich in Kauf nehmen, daß mir beispielsweise in Regenperioden 10 bis 20% der Erdbeeren verschimmeln, daß jede zwanzigste Kirsche einen »Wurm« (Made der Kirschfruchtfliege) hat oder auf dem Salat kleine Schnecken sitzen, die man erst abwaschen muß. Sind mir etwa Krebs, Darm- und Leberleiden lieber? Die Stare und die Amseln holen sich auch noch 10 bis 20% der Erdbeeren und Kirschen. Sollen sie's haben! Der Boden ist gesund, und »meine« Vögel, von denen mehr als 10 Arten meine zwei Hektar bevölkern, bekommen nur reine Insekten zu fressen. Die Landwirtschaftskammer findet zwar eine giftfreie Landwirtschaft unsinnig und meint vielleicht, ich hätte einen Vogel. Aber sie untertreibt, ich habe hunderte. Und im Teich mitten in der Wiese geht es den Unken, Fröschen, Fischen, Libellen und vielerlei anderem Getier prächtig.

Die Spritzmittel gegen Unkraut und Schädlinge sind nicht nur ein Verbrechen gegen die Gesundheit, sondern im Laufe sehr vieler Jahre läßt der Boden an Fruchtbarkeit nach und die Pflanzen bekommen Krankheiten, weil der Humus schwindet und die Nützlinge vertrieben sind. Die gestörte Harmonie zwischen Erde und Lebewelt stellt sich dann so leicht nicht wieder ein. Bei ungünstigem Klima kann es sogar zur Versteppung oder Erosion kommen, wie die Sahara, einst ein fruchtbares Land, jetzt die größte Wüste, oder die Karstgebirge am Mittelmeer, die einst dicht bewaldet waren, zeigen und wie wir es derzeit in Brasilien und Mexiko erleben, wo kein Tag vergeht, an dem nicht große Ländereien wegen Zerstörung des Bodens aufgegeben werden müssen. - Ja dort... aber bei uns? Wir haben keine Ausweichmöglichkeiten. Wenn es einmal bei uns so weit ist, dann ist es zu spät.

Das beste für Boden und Ertrag bleiben Mist und Kompost. Ich habe keinen Mist und zu wenig Kompost. Also helfe ich mir mit der Wiese aus. Das Gras, zu Haufen zusammengetragen, liefert schon nach einer Überwinterung ausgezeichneten Kompost. Ein wenig mühsam zwar, aber die für die Ernährung einer Familie erforderliche Fläche, die besonders intensiv kultiviert werden muß, ist ja nur einige hundert Quadratmeter groß. Bei meinen Erdbeeren, die ich verkaufe, ist das schon anders. Auf diesen 4000 qm liegen die Reihen 4 Meter auseinander. Das Gras oder das Lupinendickicht auf den Grünstreifen dazwischen wird gemäht und an die Ränder der Erdbeerreihen gerecht. Diese Abdeckung schützt die Erdbeeren vor Schmutz, unterbindet den Unkrautwuchs und verwandelt sich übers Jahr in Kompost. Meine ungespritzten, täglich frischen Erdbeeren finden restlosen Absatz zu höchsten Preisen.

Die Landwirtschaft ringsum ist arm und reich zugleich: Reich an Maschinen, manchmal auch an Gewinn, arm an Inhalt, Qualität, Gesundheit und Schönheit. Liest dies einer meiner Nachbarn, empört wird er sich gegen den »reichen« Gewinn wehren. Aber bitte: Pelzmantel, zweiter Traktor, drei Autos, Geschirrspülmaschine, Farbfernseher, moderne Schuhe, Schnaps, Bier und Zigaretten, kann man das etwa kaufen ohne reichlichen Gewinn?

Wenn ich vor zwanzig Jahren an Kornfeldern vorüberging, leuchteten sie voller Klatschmohn, Kornblumen und Kamillen. Heute sind sie blumenleer und monoton - dank der Chemikalien. Wir brauchen nicht mehr Brot, wir brauchen mehr Freude!

Meine Kleidung

Mach dir nie etwas daraus,
was die Leute sagen,
solange du in deinem Herzen weißt,
was du recht tust
Eleanor Roosevelt

Fast haben es die Leute vergessen, was der Zweck der Kleidung ist: Schutz vor der Witterung. Seit Kleidung zum Ziergegenstand, Prestigeobjekt und Modeartikel umbewertet wurde, ist es mit deren Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit vorbei.

Es ist halt Geschmackssache und schaden tut es keinem: einen abgestoßenen Hemdkragen, durchgewetzte Ellenbogenärmel, runzelige Schuhe oder eine nicht blütenweiße oder schneeweiße, sondern nur kalkweiße Wäsche zu tragen.

Ich trage meistens Anzüge, die Verwandte abgelegt haben, weil sie aus der Mode gekommen sind. Meine Pullover sind geflickt und die Unterwäsche darf ruhig Löcher haben. Ich trage oft eine dunkelgrüne Strickmütze und Bergschuhe. Trotzdem habe ich nicht das Gefühl, daß mir aus dieser Kleidung ein Nachteil entsteht.

Die Perfektion einer gepflegten Bügelfalte, wie wäre es übrigens, diese einmal rechts und links statt hinten und vorne zu tragen, ihr Modeschöpfer, wäre da nicht ein Geschäft zu machen? Die Perfektion einer Krawatte, eines Ziertaschentuches in der Brusttasche oder eines »todschicken« Hutes, alles neu und teuer, die ist nichts als dumme Mode, genährt vom Prestigedenken und von Geschäftemachern, aber auch von der Diktatur »man muß...«. Je vollendeter und eleganter die Kleidung, um so wohlhabender und gesellschaftlich höherstehend, also tüchtiger und gescheiter der, der darin steckt. »Kleider machen Leute,« nämlich angesehene.

Ansätze zur einfachen Kleidung gibt es in der Jeans-Mode und im Safari-Look. Widersinnig wird diese vorgetäuschte Naturnähe allerdings, wenn eine Hose mit von vornherein aufgesetztem Fleck und künstlich ausgefransten Rändern den Preis eines teuren Modeartikels hat. Man läßt sich das ärmliche Aussehen etwas kosten, ohne zu bedenken, daß dieses nicht das Ziel, sondern die Folge einfachen Lebens ist.

Am Hafen von Piräus lagert meist eine Menge junger Leute, Ferienreisende, die das verstanden haben. Sie haben eine sehr einfache Lebensweise und bequeme, zweckmäßige Kleidung, in der sie sich wohl fühlen und die nicht viel kostet.

Die Kleidung auf dem Lande sollte nicht nur unempfindlich und dauerhaft sein, sondern im Winter auch besonders warm. Es wäre nicht nur verschwenderisch, sondern auch ungesund, bei dünner Bekleidung stark zu heizen. Wer seine Kleidung selber näht und strickt, wird den Kaufleuten und Snobs nicht gefallen. Aber das braucht man ja auch nicht. Und daß dabei der Sexappeal zu kurz käme, braucht man nicht zu fürchten. Denken wir nur an Sophia Loren, wenn sie eine Fischverkäuferin, Schmugglerin oder Hure in einem Armenviertel darstellte. Auch wer nicht so prächtig geraten ist wie sie, wird durch ungezwungene Natürlichkeit in der einfachsten Kleidung anziehend wirken.

Ein Schuh, mit dem man nicht durch Wald und Wiesen und um die Wette laufen kann, ist ein schlechter Schuh. Er gehört nicht aufs Land.

Meine Wohnung

Ich besitze dieses schlecht konstruierte Fünfzig-Dollar-Haus im Jersey-Sumpf. Sehr wenige Menschen besitzen ihr Heim in so hohem Maße wie ich das meine. Meistens besitzt das Heim sie.
Prentice Mulford

Innenansicht von Gerhard Schönauers Haus (16 kB)
Natürliche Einfachheit im Haus von Gerhard Schönauer

Der Wiener Psychiater Erwin Riegel hat als die wichtigsten Wohnbedürfnisse des Menschen folgende herausgestellt: Geborgenheit, Ungestörtheit, Kommunikationsmöglichkeit und Naturnähe. Er fand außerdem, daß in hohen Häusern die Neurotisierung seiner Patienten mit der Höhe des Wohnstockwerkes zunimmt.

Während meiner Studienjahre mußte ich zehnmal das Zimmer wechseln. Neunmal fand ich es nicht zum Aushalten. Zuerst war der Straßenlärm zu groß. Im zweiten Quartier wurde im Nebenzimmer jeden Abend ein Mädchen verprügelt. Im dritten Quartier störte sich die Vermieterin daran, daß ich im Gartenschuppen zwei Fahrräder untergestellt hatte. Die vierte Wirtin war untröstlich darüber, daß ich das Federbett geöffnet, fünf Naphthalinkugeln daraus entfernt und die Naht wieder verschlossen hatte. Darauf war sie nur gekommen, weil es unerhörterweise nicht mehr nach Mottenkugeln roch. Im nächsten Stübchen dröhnte durch den Fußboden das Radio bis Mitternacht. Dann gab es ein Quartier, in welchem immer meine Sachen untersucht wurden, von der Unterhose bis zum Sparbuch. Und so flüchtete ich noch einige Male. Die vorletzte Unterkunft fand ich in einem sehr »gebildeten Haus«. Die höhere Tochter war dermaßen musikalisch, daß mir nicht einmal Ohrenwatte half. Hinaus aus der Stadt! Endlich in Gerbrunn, sechs Kilometer außerhalb der Stadt, wo kleine Häuser verstreut stehen und die Hühner herumspazieren, wo sich hinter den Häusern auf sandigen Hügeln große Kirschbaumpflanzungen ausdehnen, durch die ich gerne einen Spaziergang machte, wenn mir der Kopf vom vielen Lernen brummte, da fand ich schließlich meine Ruhe. Von meinen Spaziergängen brachte ich oft Akazienblüten und Feldblumen mit nach Hause, die ich gelegentlich meiner Freundin nach Würzburg mitnahm.

Geborgenheit, Ungestörtheit und Naturnähe hatte ich hier. An Kommunikationsmöglichkeiten aber fehlte es, weil keine ähnlich gesinnten Nachbarn hier wohnten. Und so wurde mir allmählich klar, wie man am besten wohnen sollte: In einem kleinen Häuschen auf einem stillen Fleck auf dem Lande, wo es Nachbarn gibt, mit denen man sich anfreunden kann, am besten solche, die sich in ähnlicher Absicht angesiedelt haben.

Ich verzichte gern auf die Müllabfuhr. Meinen Abfall, Küchenabfälle und Papier, mache ich zu Kompost. Plastik, Zeitungen und Flaschen bringe ich von Zeit zu Zeit zum Recycling. Ich verzichte auf das öffentliche Schneeräumen bis vor die Tür. Statt der Kanalisation habe ich eine Senkgrube. Auf Strom habe ich zwar nicht verzichtet. Aber wäre die Zuleitung zu teuer gewesen, so hätte ich mich mit Flaschengas beholfen. Damit kann man auch Kühlgeräte betreiben. Petroleumlampen sind sehr gemütlich. Gaslampen sind heller.

Von meiner Wohnung aus schaue ich auf Wiesen, Wald, Berge und meinen Garten, statt auf Häuser und Straßen, Plakate und Autos. Meine Wohnung ist wie ein Nest oder Fuchsbau: Natur in der Natur. Aber in der Stadt ist eine Wohnung eine - wenn auch unzureichende - Verschanzung vor der feindlichen Umwelt.

In der kümmerlichsten Hütte im Grünen würden die meisten Menschen eher froh als in der luxuriösesten Wohnmaschine einer Großstadt. Auf das meiste, was an einer Wohnungseinrichtung teuer ist, kann man leicht verzichten. Einfache, selbstgezimmerte Möbel sind am besten. Statt teurer Teppiche genügen Kokosfaserbeläge. Die Türen brauchen keine Schlösser und Öffner. Ein knopfartiger Holzgriff und Magnetverschluß ist schlichter und sparsamer. Lampenschirme aus Draht mit Papier- oder Stoffbezug oder Weidengeflecht macht man sich selber. Ist das Geld sehr knapp, so kann man sich auch mit einem Plumpsklo begnügen.

Am wichtigsten ist mir noch das Bad. Eine Wasserleitung sollte man schon haben. Wenn man sich dann einen Badeofen für Holz oder Flaschengas und eine Badewanne aufstellt, so kostet das nicht viel . Und auf Kacheln, Toilettentischchen und Solarium kann man gut verzichten. Für die Handtücher genügen Nägel an der Wand. Was mir aber besonders gefällt, ist der Ausblick von der Badewanne durch das Fenster auf Wald, Berge und Wolken.

Die Wohnung soll mich nicht von der Natur ausschließen. Es geht ohne Stufe ebenerdig ins Freie. Die Wohnung ist ein »erweiterter Regenschirm«.

Der widersetzliche Staat

Wessen Regierung recht zurückhaltend, dessen Volk kommt recht empor;
Wessen Regierung recht durchspähend, dessen Volk verfällt erst recht.
Lao-Tse

Der Souverän ist das Volk. Es setzt die Regierung ein. Die Regierung hat den Wählerwillen zu erfüllen - sollte man glauben. Aber das ist so lange her, daß es die meisten Regierungen vergessen haben. Die meisten Völker werden gegen ihren eigenen Willen regiert. Der Staat ist gegen die Rückkehr zum einfachen Landleben. Der Staat will Industrie, Reichtum, Fortschritt, Konsum, Superbauten, Superstraßen und Supermänner (viele Untertanen wollen das auch, weil der Staat ihnen das eingeredet hat). Also gibt es Städte, Machtkonzentration und Geschlossenheit der Siedlungen. Schon deshalb, weil die Machthaber selber alles eher als bescheidene Selbstversorger, sondern Großverdiener und Fortschrittswahnsinnige sind. Sie wollen die Welt nach ihrem eigenen Bild gestalten - und so sieht sie auch aus.

Wir, die wir eine andere Welt wollen, haben es daher nicht leicht. Vor allem macht man uns bei der Grundbeschaffung und Baubewilligung Schwierigkeiten. Aber je mehr wir sind, je größer der Zug zum Land, zur Genügsamkeit, zur Freiheit, zur Selbstbestimmung und Selbstversorgung, um so eher wird man sich an der Spitze der Staaten der besseren Einsicht beugen müssen. Aber bis es so weit ist, hat jeder einzelne nur dann Aussicht, seine Lebensvorstellungen zu verwirklichen, wenn er bis zur Erteilung der Baubewilligung sehr hartnäckig ist.

Solange die Baubehörden gräßliche, krankmachende Betonhochhäuser, also Selbstmördertürme, bewilligen und fördern, aber nette, landschaftsgemäße, unaufdringliche, kleine Häuschen auf der Wiese und am Waldesrand verbietet, solange hat unsere Obrigkeit noch nichts begriffen. Das schließt jedoch nicht aus, daß sie einmal begreifen wird, weil sie muß. Auf die Dauer kann sich ein System, und sei es noch so selbstherrlich, den wichtigsten Bedürfnissen des Volkes nicht widersetzen.

Selber machen

Den Menschen, der seine Lust im Gebrauch des konvivalen Werkzeugs findet, den nenne ich nüchtern und zurückhaltend. Er kennt das, was im Spanischen la conviviencia heißt, er nimmt Anteil am Mitmenschen. Denn die nüchterne Zurückhaltung hat nichts mit Isolation, Rückzug auf sich selbst, oder gar Fantasielosigkeit zu tun.
Ivan Illich

Das Haus von Gerhard Schönauer (28 kB)
Das selbstgebaute Eigenheim des Verfassers

Das Schiller-Zitat von der Axt im Haus wage ich nicht zu nennen, denn wenn eine Wahrheit gar zu selbstverständlich ist und in aller Munde geführt wird, wirft man ihr vor, sie sei banal.

In den letzten 10 bis 20 Jahren hat sich der Ruf des Do-it-yourself wesentlich gebessert, während es früher eine lieber verschwiegene Notwendigkeit der armen Leute war.

Inzwischen sind handwerkliche Tätigkeiten gegenüber der zermürbenden Routinearbeit in Büro und Fabrik beliebter geworden und genießen ein romantisch geadeltes Ansehen. Außerdem kommt der natürliche Spiel- und manuelle Schaffensdrang bei den Leuten hervor, die den Tag lang herumsitzen oder -fahren, so daß es für die Geschäftsleute nicht mehr schwer war, hier eine einträgliche Branche aufzuziehen, die es zuvor noch nie gegeben hat.

Für die meisten Bastler ist das Heimwerken allerdings zuweilen eine teure Spielerei. Selber gemacht kann teurer sein als fertig gekauft. Auch ein selbstgestrickter Pullover kann teurer sein als ein fertig gekaufter, wenn man die Wolle kaufen muß. Säuberlich ausgesuchte, geschliffene Bretter sind teuer. Fangen wir lieber auf primitiver Stufe an. Rohe Bretter aus dem Sägewerk, Schrauben, Nägel und Leim, das ist genug, um eine ganze Wohnung einzurichten.

Das Basteln und Handwerken wird dann zur großen Ersparnis, wenn wir sehr konsequent alles, was uns möglich erscheint, selber machen. Als Landbewohner haben wir im Winter lange dazu Zeit. Auch ist es sehr reizvoll, wenn sich die Wohnung erst nach und nach organisch wachsend füllt, reich an persönlichen Merkmalen. Bastelbücher als Anleitung gibt es so viele wie Kochbücher. Man hüte sich aber vor Perfektion. Anleitungen, wie man seine Kleidung selber macht, gibt es auch in jeder Buchhandlung. Ebenso Gartenbücher für den Landbau. Sehr vielseitig, allerdings nur unterschiedlich gründlich, ist Das große Buch vom Leben auf dem Lande von John Seymour. Es bietet einen anregenden Überblick über das, was es so alles gibt an Arbeiten auf dem Lande, wichtige und auch sehr unwichtige. Aber es reicht keinesfalls als Arbeitsanleitung aus. Vor allem für den Hausbau und die Installation braucht man genauere Vorschriften oder erfahrene Freunde.

Wer meinen Bericht immer noch nicht weggelegt hat, gehört wohl zu den Menschen, die mehr Freude daran haben, an langen Wintertagen Kleider, Hosen, Hemden, Teppiche und Pullover zu fertigen, Wandregale, Tische, Lampenschirme, Bänke und Betten zu bauen, ihre Schuhe zu besohlen und Sitzpolster zu nähen, als Fernsehkrimis und Sportberichte zu »beglotzen«. Wer seine Sachen gern selber macht und darin nicht nur ein notwendiges Übel sieht, wird sich leicht damit abfinden, daß nicht alles so exakt wie aus der Fabrik aussieht. Dafür hat man es in der Hand, alles sehr robust herzustellen. Die Nähte halten länger, die Verbindungen wackeln nicht. Ich habe Jahrzehnte in knarrenden Betten geschlafen; erst mein selbstgebautes ist nun schon seit elf Jahren mäuschenstill und dabei ganz einfach: Die vier Seitenteile aus zweischichtig verleimten Lärchenbrettern sind an den vier Ecken über 6 x 6 cm Kanthölzer, die gleichzeitig die Bettfüße sind, miteinander verschraubt, und zwar mit großen Schrauben mit Muttern, so daß die Verbindungen sehr stramm angezogen werden können. Als Betteinsatz dienen rohe Bretter, die auf an die Seitenteile geleimten Latten aufliegen und mit Packpapier abgedeckt sind. So einfach ist das beste Bett, in dem ich je geschlafen habe. Es kostet 4 Quadratmeter rohe Bretter, 8 Schrauben mit Muttern und Unterlegscheiben und ein bis zwei Tage Arbeit, je nach Feinheit und Ausführung. Haltbarkeit: Garantiert 100 Jahre, ohne zu knarren oder zu wackeln.

Wenn ich aber anfinge, meine Arbeitszeit mit Geld gleichzusetzen dann sähe die ganze Sache unwirtschaftlich aus: 15 Stunden, das wäre ohne Matratze ein zu teures Bett. Doch weil ich die fünfzehn Stunden frei und auf dem Lande habe werken können, statt sie in einer Stadt in abhängiger, vielleicht in eiliger oder angespannter und nervös machender Tätigkeit mit allerhand Spesen und Nebenlasten, wie Fahrerei, zu verbringen, ist es ein ideeller Vorteil, der mit Geld nicht zu bewerten ist. Selber machen macht frei. Es zählt auch, daß man viel, viel dabei lernt.

Grenzen der Autarkie

»Small is beautiful«
E.F. Schumacher

Ich wollte Hunderte Quadratmeter Bretter für Fußböden, Türen und Möbel selber hobeln. Mit dem Handhobel dauert das viele hundert Stunden. Eine Hobelmaschine ist teuer, gefährlich und unheimlich laut. Schließlich habe ich vorgezogen, die Bretter beim Tischler maschinell hobeln zu lassen.

In alten Zeit hat man ein halbes Leben lang an einem Haus gebaut. Heute ist der Mensch entwurzelt. Wir fühlen uns in der Stadt fremd und heimatlos und sehnen uns nach einem »Nest«. Deshalb dauern uns viele Arbeiten zu lang, weshalb wir uns nicht darauf versteifen sollten, grundsätzlich alles selbst machen zu wollen. Natürlich hätte es seine Robinson-Romantik, wenn man Rinderhaut gerbt und sich daraus urwüchsige Schuhe näht, wenn man seine Dachschindeln selber spaltet und das Getreide mit der Handmühle mahlt. Dann aber haben wir täglich zwölf Stunden Arbeit. Am Anfang ist das sehr spannend und befriedigend. Aber bald macht sich der instinktive, angeborene Arbeitswiderwille breit, wie ich ihn im Kapitel »Wenn Arbeit Laster wird« schildern werde. Wollen wir fürs erste nicht in die völlige Primitivität zurück, weil uns ein so großer Schritt schwer fällt, dann wird es am besten sein, auch bei der Arbeit und der Autarkie einen Kompromiß zu schließen und in den Bereichen, wo der eigene Aufwand ein übermäßig großer wäre, uns der Spezialisten und der Industrieproduktion zu bedienen.

Ich säge Bäume ab, ich entaste und entrinde sie, aber ich schneide keine Bretter daraus. Das überlasse ich dem Sägewerk. Ich besohle mir meine Schuhe selber. Das lohnt sich, bedarf nur billiger Werkzeuge und freut mich. Und wenn bei meinen Bergschuhen eine Naht aufgeht, so habe ich als die einfachste und haltbarste Reparatur herausgefunden, sie mit kleinen Sattlernieten wieder instandzusetzen. Trotzdem gehe ich nicht so weit, mir Schuhe von Grund auf selber zu machen, was bei Kleidern recht leicht, wirtschaftlich und unterhaltsam wäre.

Draht, Fensterglas, Nägel und Schrauben, die meisten Werkzeuge und ein Auto oder Fahrrad kann man sich beim besten Willen nicht selber machen. Blumentöpfe hingegen könnte man sich selber formen und brennen, doch sind sie so billig, daß ich mir die Arbeit lieber spare.

Wenn ich unschlüssig bin, ob ich eine Sache selbst machen oder kaufen soll, dann überschlage ich, wieviel Zeit sie mich kosten würde und was ich dafür bezahlen müßte. So brauchte ich zum Beispiel für meine beiden Treppen vier dicke Balken von fünf Metern Länge. Damit es keine Verdrehungen und Risse gibt, sollten die Balken aus sechs Bretterlagen verleimt hergestellt werden. Jeder Balken bekam für jede Stufe einen tiefen Dreieickseinschnitt. Ich habe die Balken selber gemacht und für jeden Balken eine Woche, also etwa 50 Stunden gebraucht. Damit habe ich etwa DM 25,- in jeder Arbeitsstunde eingespart.

Wenn ich mir Brot backe, fünf Kilo in einem, so kostet mich das zwei Stunden Arbeit. An einem Kilo spare ich etwa 1 DM. Früher habe ich gebacken, aber da ich sehr wenig Brot esse, bin ich davon abgekommen.

Solange man unsicher ist, was man kaufen und was man selber machen soll, kann man bei jeder Aufgabe prüfen, wie lange es dauern würde, wenn man sie selber bewältigt. Man legt nach den persönlichen Verhältnissen einen Betrag fest, den die Arbeitsstunde wert ist, zieht vielleicht noch in Erwägung, wie angenehm oder unangenehm die betreffende Arbeit ist und fällt danach die Entscheidung. Diese Haltung ist keineswegs naturnah und angenehm und soll auch nur ein Übergang vor allem in der Hausbau- und Aufbauzeit sein. Ist schließlich alles eingefahren und kann man sich - von einigen Reparaturen abgesehen - endlich darauf beschränken, nur das herzustellen, was man laufend verbraucht, dann kann man getrost die Rechnerei wieder vergessen und wird sich an ein gewisses Gleichmaß von einigen Verrichtungen und ein wenig Einkauf gewöhnen. Wer alles selber machen will, wie etwa Bier brauen, Brot backen, Käse zubereiten, Töpfern, Spinnen, Weben, Fässer bauen, Sauerkraut einlegen, Methangas aus Viehmist herstellen, Öl pressen, Honig, Leder, Seife und Ziegelsteine gewinnen, der hat zwar die Beruhigung, auch die schlimmsten Krisen überstehen zu können, ohne Mangel zu leiden, doch wird er bald die Lust an der zu umfangreichen Arbeit verlieren.

Im Zweifelsfalle würde ich die Genügsamkeit, den Verzicht vorziehen. Könnte ich mir kein Bier kaufen, würde ich lieber Wasser trinken, statt selber Bier zu brauen. Kommt darauf an, wie fleißig man ist. Ich bin jedenfalls eher faul, aber ich bin es gern.

Der grüne Perfektionismus

Über das Ziel hinausschießen ist ebenso schlimm wie nicht ans Ziel kommen.
Konfuzius

In vielen Köpfen spukt der Wunschtraum einer »Alternative« nach Art des Schlaraffenlandes, die uns Komfort und Konsum ebenso beschert wie die moderne Technik, nur eben mit vermeintlich gesunden, umweltfreundlichen Mitteln. Diese Leute wollen keine Umkehr zur Natur und Einfachheit, sondern sie wollen Fortschritt und Technik, nur eben in ihrer Geschmacksrichtung, das heißt ohne Schädigung der Natur. Sie wollen Üppigkeit nach neuen Methoden. Auch sie sind Wissenschaftler, Techniker und Manager, nur eben grün verkleidet. Ich halte diese Richtung für besser als die umweltfeindliche der heutigen Mächte, aber dennoch für verfehlt.

Es tut uns nämlich gut, Brennholz zu sammeln und zu hacken. Es tut uns auch gut, schwach zu heizen und uns im Winter sehr warm anzuziehen. Es tut uns auch gut, Schnee zu schaufeln und nur wenig zu essen, gesundes Wasser oder Säfte statt Bier zu trinken und nicht zu rauchen. Das Schlaraffenland macht krank. Selbst wenn es uns gelänge, durch eine glänzende, umweltfreundliche Erfindung unser Heim sehr billig und mühelos auf 25 Grad zu beheizen, so wäre es gefährlich. Wir würden unter Bewegungsmangel und Erkältungen leiden. Eine breitere Untersuchung über Erkrankungen auf Überseeschiffen hat ergeben, daß die Erkältungen auf klimatisierten Schiffen etwa doppelt so häufig auftreten wie auf nicht-klimatisierten. 1978 hat der Kommandant eines Winterlagers des österreichischen Bundesheeres in Zelten den Gesundheitszustand seiner Truppe als erheblich besser als in den Kasernen bezeichnet. Wenn die Techniker es zustände brächten, uns veilchenduftende, lautlose und sehr billige, aber dennoch schnelle Elektroautos zu bescheren, dann wären wir vielleicht nicht besser dran als jetzt: denn dann ginge vielleicht überhaupt kein Mensch mehr zu Fuß.

Mich kümmern nicht die sündhaft teuren Wärmepumpen für den Kleinverbraucher, die winterlahmen Sonnenkollektoren, häßlichen Windräder, wie wir sie in jeder Ecke unseres Gartens aufstellen und die schwimmenden Wasserräder mit Kleinstkraftwerken, die in jeden Bach gehängt werden sollen, nur damit unser aufgeblasener Komfort weiter ins Kraut schießen kann. Sondern mir sind lieber das Wollzeug der Großeltern und wärmende Pluderhosen, auch wenn das weniger »sexappealing« ist. Pflanzen wir doch einen Waldstreifen an den Nordrand unseres Grundstückes, sofern es groß genug ist. Holz ist ein vorzüglicher Brennstoff und wächst von selbst nach.

Sparen wir mit Strom, dann brauchen wir nicht die herrlichen Alpentäler mit Straßen und Kraftwerken zu verschandeln. Schlagen wir die Eier ruhig mit dem Schneebesen und hobeln wir die Gurken mit der Hand. Was brauche ich eine Kaffeemaschine, wenn ich den Kaffee einfach durch ein Teesieb gießen kann? Ich habe kein Telefon, schreibe dafür aber oft Briefe. Wenn etwas eilig ist, dann gehe ich eben zur Fernsprechzelle. Wenn wir viel Fahrrad fahren und zu Fuß gehen, können wir das Auto immer noch für große Fahrten verwenden.

Ist es nicht grüner Perfektionismus, wenn ein Kleinbetrieb aus seinem Stallmist Methangas herstellen soll? Ist als Drahtzieher nicht doch wieder die Industrie im Hintergrund am Werk, die uns Anlagen aufstellen will, die sich nie amortisieren und deren Herstellung mehr Energie verschlingt, als mit dem Apparat je zu gewinnen ist? Eine Kuh liefert auf diese Weise im Jahr 70 Kubikmeter Methangas mit dem gleichen Heizwert wie 120 Kilo trockenes Brennholz, aber nur, wenn ihr ganzer Mist eingesetzt wird. Trägt man die Kuhfladen nicht von der Wiese nach Hause, erhält man entsprechend weniger. Lieber würde ich einmal im Jahr 120 Kilo Brennholz kaufen oder umsonst im Wald sammeln oder auf dem eigenen Gelände wachsen lassen und schlagen, als mehrere Bottiche mit Rührwerk und Rohrverbindungen, mit Ventilen, Isolierungen und Sicherheitsvorkehrungen gegen Explosion aufzubauen, die nach wenigen Jahren womöglich durchgerostet sind und täglich betreut werden müssen. Wem die technisch-chemische Spielerei Spaß macht und wer die 500 DM oder mehr dafür investieren will - wobei man allein schon von den Zinsen des Einsatzes doppelt soviel Brennstoff kaufen kann, als der Apparat produziert - bitte. Aber zum glücklichen Landleben brauche ich so ein Gaswerk nicht.

Einfacher und billiger

Der Genügsame ist reich
Lao-Tse

Damit ich mich wohl fühle, brauche ich nicht mehr Kraftwerke, Straßen und Güter. Ich schalte die Kochplatte schon 5 Minuten vor dem Fertiggaren aus. Meinen Kühlschrank und meine Gefriertruhe habe ich in Isolierplatten aus Porozell eingepackt. So dringt weniger Wärme in die Kühlgeräte, die Kühlaggregate brauchen nur seltener zu arbeiten, verbrauchen weniger Strom und halten länger. Ich brauche weder ständig neue Kleidung noch neue Schuhe. Mir gefallen auch noch getragene Sachen.

Der Geldmangel ist für die meisten Leute wahrscheinlich das große Hemmnis (oder für andere nach der Prestigeeinbuße das zweitgrößte), aufs Land zu ziehen. Immer wieder höre ich die Städter vom Landleben, das sie vom Urlaub her kennen, schwärmen, aber betrübt resignieren: Da kann ich ja fast nichts verdienen. Doch bin ich überzeugt, wenn jeder Städter zum achtzehnten Geburtstag von der Öffentlichkeit einen halben Hektar Ackerland und ein Häuschen geschenkt und eine Rente von 1000 DM im Monat bekäme, dann wären die Städte innerhalb einer Generation zu wenigstens drei Vierteln entvölkert. Da es zwar Land, nicht aber diese Rente gibt, bleibt kein anderer Ersatz für uns übrig als ein wenig Arbeit, nämlich gerade genug für die Selbstversorgung, und ein wenig Arbeit für den Zuerwerb. Den meisten unserer Großeltern und Urgroßeltern waren Genügsamkeit und Sparsamkeit selbstverständlich, weil man damals im allgemeinen trotz aller Mühe nur so wenig verdienen konnte, daß man für ein großzügigeres Leben, wie es heute Brauch ist, kein Geld hatte. Heute sind wir verwöhnt. In den Acht Todsünden der zivilisierten Menschheit von Konrad Lorenz heißt es zutreffend: »Die bescheidenste Hausgehilfin würde sofort empört revoltieren, böte man ihr ein Zimmer mit Heizung, der Beleuchtung sowie der Schlaf- und Waschgelegenheiten an, die der Geheimrat von Goethe oder selbst der Herzogin Anna Amalie von Weimar durchaus ausreichend erschienen.«

Nun haben wir sie: Bequemlichkeit, Luxus und gute Verdienstmöglichkeiten. Aber für welches Opfer! In Büros und Fabriken, Labors und auf den Straßen, in Gehetztheit, Sklaverei und Angst. Jeder hat die Wahl: Diese Arbeit - und andere gibt es nur höchst selten - und diesen Lohn, oder Freiheit und keine Bezahlung. Doch auch wer das letztere wählt, kommt an einigen harten Aufbaujahren nicht vorbei. Wer nun die Freiheit vorzieht, kommt nur mit großer Sparsamkeit zurecht. Alle möglichen Versuchungen machen sie uns schwer. Zentralheizung, Berglift, Auto, Rollenstühle, Waschmaschine, Staubsauger, automatische Küchengeräte und hunderterlei Maschinen für die Warenproduktion und Landwirtschaft, eine Riesenauswahl zum Essen, zum Kleiden, für Sport, Wohnung und Unterhaltung. Sie verführen uns alle, sich ihrer viel zu bedienen. Das hat vor allem zwei schreckliche Folgen: Erstens verhindert das die Sparsamkeit, so daß wir uns in die ewige Abhängigkeit vom Geldverdienen begeben, und zweitens werden Wohlbefinden und Gesundheit durch den Überverbrauch geschädigt.

Verschwendung soll Spaß machen? Ich finde, Sparen macht Spaß. Ich brauche keine Papiertaschentücher. Aus zerrissenen Hemden und Betttüchern schneide ich mir Taschentücher und säume sie ein. Ich habe seit 20 Jahren eine Nähmaschine, mit der ich schon zwei Zelte genäht habe und drei Rucksäcke. Auch viele Flick- und Änderungsarbeiten sind mir damit gelungen.

Ich spare mit Vergnügen: Mit 14 Jahren erhielt ich eine Taschenuhr zum Geschenk. Bis dahin hatte ich keine Uhr. Sie wurde zweimal repariert. Bis heute habe ich keinen Anlaß gehabt, mir eine neue Uhr zu kaufen. Eine Uhr ist für mich kein Zier- oder Modegegenstand und kein Wohlstands-, sondern lediglich ein Zeitanzeiger.

Überflüssiges zu vermeiden, das freut mich. Ob es sich dabei um Sachen oder um Arbeiten handelt, es ist dasselbe. Ich betrachte es als Sport.

Es kommt vor, daß ich Staub sauge. Die vollen Papierbeutel, die 1,30 DM kosten, werfe ich nicht weg, sondern sammle sie, bis ich eine Schachtel voll beisammen habe. Dann schüttle ich sie - am besten in der Badehose - im Garten auf den Kompost und habe mir zum Beispiel in 10 Minuten 13 DM erspart.

Mit Recht ärgern wir uns über die Verschwendung, die mit öffentlichen Geldern getrieben wird, über Dienstautos und Repräsentationsaufwendungen, über luxuriöse Gemeindeämter und Bankfilialen, über Verwaltungspaläste und Skulpturen, die unsere Plätze und Autobahnen verschönern sollen, über kostspielig gedruckte, großformatige Briefmarken, über öffentliche Beleuchtung für drei Häuser. Mit Recht beklagen wir uns über die Verschwendung, mit der statistische Ämter ein Heer von Angestellten beschäftigen, um die Bevölkerung mit Fragebögen zu belästigen und Archive mit Erhebungen über Zimmerpflanzen, exotische Haustiere und Schlafgewohnheiten vollzupacken. Wohlgemerkt: vollklimatisierte Archive mit einbrennlackierten Stahlschränken und Rollenschubladen, Sicherheitsschlössern und angeschlossenem Computer nebst Feuerwarnanlage und Sprenklern. Sicher beklagen wir all das mit Recht. Mag sein, daß wir die Verschwendung auf politischem Wege, wenn es wider Erwarten einmal eine gute Partei geben sollte, bremsen können. Doch das kann lange dauern. Bei uns selbst können wir aber heute anfangen.

Ich brauche 2 Seifen im Jahr und nur wenige Tuben Zahnpasta, die billigste. Ich habe noch nicht beobachten können, daß die teuerste besser wirkt als die billigste. Mag sein, daß es genauso gut für die Zähne ist, sie nur mit Wasser zu putzen, ich weiß es nicht. Eine elektrische Zahnbürste habe ich jedenfalls ein halbes Jahr lang benutzt, bis ich festgestellt habe, daß sie nichts taugt: Ich habe nämlich ein gleichmäßiges, glattes Brettchen mit Heidelbeeren eingerieben und sodann die eine Hälfte eine Minute lang mit der elektrischen Zahnbürste, die andere mit der Handbürste und leichtem Beträufeln mit Wasser gebürstet. Die handgebürstete Fläche war deutlich heller als die elektrogebürstete.

Die meisten Leute entfetten ihre Haut zu sehr durch Seife. Solche Haut wird leicht allergisch, wird bakteriendurchlässig und man holt sich Krankheiten. Warmwasser reinigt normalerweise gut genug.

Zum Glätten meiner selbstgebauten Möbel habe ich viel Schleifpapier gebraucht. Und zwar kreisrunde Schleifblätter, die auf einer Gummiplatte befestigt werden, die mit einer Bohrmaschine angetrieben wird. Eines Tages habe ich mir ein Schleifband, wie es für Tischlereimaschinen verwendet wird, gekauft und daraus die Kreisscheiben geschnitten. Eine Scheibe eine Minute. Jetzt sind die Scheiben nicht nur viel billiger, sondern halten mehr als doppelt so lange.

Wozu soll ich Geschirr und Besteck abtrocknen, wo es doch von selber trocknet? Wozu soll ich mein Auto waschen, wo das doch der nächste Guß vom Himmel besorgt oder wenn es beim nächsten kleinen Dreckwetter sowieso wieder schmutzig wird?

Wenn meine Schuhe wasserabstoßend werden sollen, so erfüllt die billigste Paraffinpaste diesen Zweck genauso gut wie das teuerste Spray.

Was brauche ich für die Winterfütterung der Vögel teure Ringe und komplizierte Sämereimischungen zu kaufen? Ein Kilo Sonnenblumenkerne und ein Würfel Schmalz oder Margarine kosten 2 bis 3 DM. Das kriegen die Kleiber, Meisen und Finken unvermischt serviert und sollen sich gefälligst ihr Menü selbst zusammenstellen.

Teure Anschaffungen wären mir zuwider: Bücher etwa, die ich nicht lese, kostbarer Schmuck, eine Filmkamera, ein Farbfernseher oder eine Stereoanlage. Allein der Gedanke täte mir schon weh, daß ich für so ein Objekt von sagen wir 3000 DM Wert 300 Stunden unerfreuliche Arbeit verrichten sollte - das sind mindestens zwei Monate, die ich nach Herzenslust schöner verbringen könnte: zu Hause oder im Garten, auf Besuch bei Freunden oder auf Reisen in den Dolomiten, auf den Dalmatischen Inseln oder auf Korsika, was ganz billig wäre und nur das Kilometergeld kostet, wenn ich mich selbst verpflege und im Auto schlafe.

Es läßt sich kaum ein Gebiet im Haushalt und am Essen finden, wo man nichts vereinfachen und einsparen könnte. Besonders wichtig ist das in der Aufbauzeit, wo man sein Startkapital zusammenspart. Ich habe in diesen Jahren fast nie Wein oder Bier getrunken, sondern mich mit Tee oder Wasser begnügt. Ich habe kaum Kleidung gekauft.

Ach, ihr Armen, wie gut geht es doch mir! Ob meine Nudeln oder Kartoffeln vorher oder nachher gesalzen werden, ein wenig zu hart geraten oder zerkocht sind, ob das Fleisch saftiger oder trockener ausfällt, der Kaffee heller oder dunkler, der Wein kühler oder wärmer ist, das ist mir zwar nicht völlig gleichgültig, aber wichtig ist es mir auch nicht, denn ich habe ja noch eine Menge andere Dinge, die mir Freude machen und die mein Leben ausfüllen. Wer Essen und Trinken überkultiviert und überbewertet, zeigt damit nur, daß er damit den Mangel an sonstigen Freuden auszugleichen sucht.

Eine meiner erfreulichsten Mahlzeiten, die ich nie vergessen werde, hat auf einer Wiese nahe dem Ufer der Drau stattgefunden. Dort war ich abends angekommen, hatte mit meiner Freundin das Zelt aufgeschlagen und ein Spiritusfeuer gemacht. Während das Essen kochte, hörten wir das friedliche Rauschen des Flusses. Die Spätsommernacht war lau und sternenklar. Manchmal fiel eine Sternschnuppe. Und jedesmal war es uns ganz wichtig, daß der andere sie auch gesehen hatte. Zu essen gab es dann köstliche, gesalzene Maiskolben.

Angeschmiert

Wenn Sie in unmittelbarem Kontakt mit der Natur sind, wenn Sie einen Vogel im Flug beobachten, wenn Sie die wechselnde Schönheit des Himmels sehen, die Schatten über den Hügeln betrachten oder die Schönheit auf dem Antlitz eines Menschen, glauben Sie, daß Sie dann noch den Wunsch haben, in ein Museum zu gehen, um sich ein Bild anzuschauen?
Krishnamurti

Ungeheuer groß ist die Zahl der Pasten, Pulver und Sprays, die zu benötigen die tägliche Werbung uns weiszumachen versucht. Was wir da alles auf unsere Autos, Schuhe, Herde, Badewannen, Klomuscheln, Wände, Fußböden, Teppiche, Haare, auf Gesicht und Hände schmieren oder spritzen sollen, ist grotesk. Wir werden buchstäblich täglich »angeschmiert«. Und seit wir bürokratisch bevormundet und juristisch eingewickelt leben, hat sich die Einstellung breit gemacht, was gesetzlich erlaubt ist, wird nicht ganz schlecht oder falsch sein. Ein typisch deutsches Autoritätsdenken! Aber das ist ein Irrtum. Niemand würde daran gehindert, Zuckerwasser als Nährtrunk oder Sand als Reinigungsmittel zu verkaufen. Wir müssen Mißtrauen, Kritik, Ablehnung und persönliche Verantwortung entwickeln gegen die mörderische Macht von Industrie, Mode und Fortschritt. Ich greife ein Beispiel heraus.

In einem Jahr werden an den Badestränden der Welt etwa 30 000 Tonnen Sonnenöl, das sind 3000 Tankwagen voll oder eine lückenlose Tankwagenschlage von 36 Kilometern Länge, auf die Haut geschmiert. Hauptsächlich, damit man braun wird und keinen Sonnenbrand bekommt. Da gibt es angeblich Bräunungsfaktoren und Filterfaktoren und Biofaktoren, über die ich mir kein Urteil anmaßen würde, wenn ich nicht Chemiker mit zehnjähriger Berufserfahrung gewesen wäre. Ich würde allenfalls sagen, ich mißtraue den Angaben. So aber kann ich aus voller Überzeugung sagen, es gibt darin nur einen Faktor, den Schwindelfaktor. Und zwar aus folgenden Gründen: Der braune Farbstoff, den die Haut infolge ultravioletter Bestrahlung entwickelt, gehört zu den Melaninen, die uns zum Beispiel aus rohen Kartoffeln bekannt sind, wenn sich bei Luftzutritt der braune Farbstoff entwickelt. Man kann also unabwaschbare, tiefe Bräunung der Haut statt durch Sonne auch durch Imprägnierung der Haut mit einem derartigen Farbstoff herbeiführen. Solche chemischen Bräunungen sind allerdings gesundheitsschädlich und werden kaum noch zugelassen.

Will man mit Sonnencreme oder Sonnenöl lediglich die zu starke ultraviolette Bestrahlung filtern, so ist zu bedenken, daß dies nur durch millimeterdicke Schichten oder durch stark strahlenbremsende Stoffe möglich ist, die man deutlich als aufgetragene Farbstoffe erkennen kann. Diese Abschirmung der Haut erfolgt tadellos beispielsweise mit Desitin oder Labiosan, wo feinverteiltes Zinkoxid (ein weißes Pulver) die Sonnenstrahlen nicht hindurchläßt, nicht viel anders, als wenn man Papier auf die Haut kleben würde. Solche Mittel sind aber unbeliebt, weil man sie sieht. Daneben gibt es unzählige klare, für das Auge höchstens durch den Fettglanz wahrnehmbare »Sonnenschutzmittel«, die die UV-Strahlen herausfiltern sollen. Aber deren Wirkung ist ganz gering. Alles Werbeschmäh! Wo allerdings Trübungsteilchen im Sonnenöl enthalten sind, wird die Strahlung tatsächlich gebremst.

Seit Jahrhunderten machen Naturvölker von der einfachen und billigen Methode Gebrauch, die Haut einzufetten. Erst unserem Fortschritt war es vorbehalten, daraus ein blühendes Milliardengeschäft zu machen. Von unnützen Beimengungen abgesehen, sind alle klaren Sonnenöle und Sonnencremes gleich: Parfümiertes und gegen das Ranzigwerden chemisch konserviertes Fett. Das billigste Mittel ist genauso gut wie das teuerste. So wird man angeschmiert.

Der Sorge, welches Waschmittel noch weißer als weiß wäscht, sind wir enthoben, wenn wir uns damit begnügen, die Wäsche von unangenehmem Geruch zu befreien, keineswegs aber strahlendes Weiß haben zu wollen.

Spülmittel für Geschirr sind meist bedenklich. Nur bei sehr gründlicher, heißer Nachspülung verschwinden alle Reste, die andernfalls mit der nächsten Mahlzeit eingenommen werden würden und uns vielleicht in winzigen Spuren vergiften.

Ich lebe zwischen Wiesen und Wald. Mich erreichen keine Plakate und Illustrierten, Werbefunk schalte ich ab. Werbedrucksachen, die mich durch die Post erreichen, werfe ich weg. Das Landleben macht es einem leicht, sich dem chemischen Unfug einigermaßen zu entziehen, wenn man erst einmal die Überzeugung gewonnen hat, daß er ungesund und verschwenderisch ist und daß man doch nur angelogen wird.

Tierliebe

Die Welt ist kein Machwerk und die Tiere sind kein Fabrikat zu unserem Gebrauch. Nicht Erbarmen, sondern Gerechtigkeit ist man ihnen schuldig.
Arthur Schopenhauer

Horst Stern berichtet, daß in der Schweiz jährlich für eine Milliarde Schweizer Franken Kosmetika verkauft werden, was einem Durchschnitt von 200 Franken je Bürger entspricht. Anderswo in den naturentfremdeten Industrieländern wird es ähnlich sein. Den Löwenanteil davon verbrauchen Frauen. Und von den Frauen sind vielleicht die Hälfte Kinder, Greisinnen und natürliche Frauen, die die meiste Kosmetik ablehnen, so daß von den »Kosmetik«-Frauen jede ein Quantum von 800 Franken im Jahr an Kosmetik verbraucht. Ich erwähne dies nicht nur, um die Verschwendung zu zeigen, sondern um eine traurige Nebenerscheinung noch hervorzuheben: Diesem monströsen und relativ überflüssigen Wirtschaftszweig fallen beispielsweise allein in den USA jährlich sechs bis acht Millionen Versuchstiere zum Opfer, an denen man ausprobiert, wie etwa Tierhaut eine Salbe oder Farbe, ein Haarwaschmittel oder eine Wimperntusche, oder wie der Tiermagen einen verschluckten Lippenstift verträgt. Wir mißhandeln und schlachten Millionen »Freunde« aus Putzsucht und Geldgier.

Nicht anders steht es um die Hege, Zucht und Winterfütterung der Hirsche nach fast völliger Ausrottung von Dachs, Marder, Luchs und Wolf. Die Heger und Jäger pflegen die Tiere nicht aus Liebe zu ihnen, sondern um sie abschlachten zu können und die Geweihe an die Wand zu nageln. Wer das tut, dem fehlt es an Liebe zur Natur und besonders zu Tieren.

Der Urmensch hat Tiere getötet, wie es seinen natürlichen Bedürfnissen entsprach. Nicht aus Prahlsucht, nicht zum Geldverdienen, nicht um sich zu schmücken und nicht aus Spielerei.

Eines Tages muß in grauer Vorzeit ein Rohling aufgetreten sein, der nichts dabei fand, einen schönen Vogel, vielleicht einen Silberreiher, zu töten, nur um sich mit seinen Federn zu schmücken. Seither hat sich die Menschheit verändert. Unzählige haben es nachgemacht. Man stumpft ab und empfindet das angerichtete Leid nicht mehr nach. Der Vogel mag Glied einer glücklichen Familie gewesen sein und hätte noch ein langes, freudiges Leben vor sich gehabt. Nun soll er fallen, nur damit sich jemand eine Feder an den Hut stecken kann. Damit hat der Mensch sich zum rücksichtslosen Despoten über die Natur erhoben und eine gefühlsmäßige Schranke übertreten. Diese Übertretung führt in gerader Linie zu Menschenmord und Weltvernichtung.

Ich glaube nicht, daß jemand zum einfachen Landleben zurückkehren sollte, der nicht fähig ist, sich als Bestandteil der Natur zu fühlen. Nur der wird auf seinem Land glücklich, der seine liebevolle Naturverbundenheit mitbringt oder zumindest wiederbeleben kann. Es genügt nicht, von Wald und Wiese umgeben zu sein. Viele denken und fühlen wie Primitivlinge.

Die Rückkehr zur Natur beginnt nicht mit dem Wohnsitz, sondern mit dem Herzen. Wenn ich in einer Auslage Handtaschen aus Krokodilleder sehe, wenn ich eine Frau mit umgehängtem Seehund- oder Tigerfell oder Fuchspelz sehe, graut mir. Mir graut um so mehr, je deutlicher noch eine Ähnlichkeit mit dem vollständigen Tier besteht. Mir graut vor aufgespießten Schmetterlingen und ausgestopften Vögeln, vor Gamshörnern und Hirschgeweihen an der Wand, noch mehr aber vor dem ganzen Kopf. Mir graut vor dem Schweinekopf beim Fleischhauer oder auf dem Neujahrstisch. Und wenn nun einer einwendet, dies sei nichts als Sentimentalität, Gemütsverzärtelung und Romantik, so bleibe ich trotz aller Einwände bei der Auffassung, daß wir einen angeborenen Widerwillen nicht nur gegen das Töten, sondern auch gegen den Leichnam oder einzelne Teile von ihm haben.

Daher widern mich auch Gemälde an, auf denen tote Tiere als Stilleben abgebildet sind. Und den Einwand, daß diese Abneigung erst aufgebaut, erdacht und anerzogen sei, weil doch auch ich als Kind unbekümmert Fliegen, Ameisen und Regenwürmer zerstückelt hätte, kann ich widerlegen. Einerseits macht das Gefühl deutliche Unterschiede zwischen den uns fernen und uns näheren, also größeren Tieren. Es ist nämlich ein Unterschied, ob ich einem Vogel, Frosch oder einer Fliege ein Bein ausreiße. Und zweitens regt sich im kleinen Kind erst allmählich die Fähigkeit, sich in andere Wesen hineinzudenken, mitzufühlen.

Gehen wir hin zu den Blumen und Bäumen, zu Bächen und Steinen und zu den Tieren. Der Garten Eden bleibt grau und fremd und stumm für alle, die ihre einbetonierten Gefühle nicht mehr befreien können.

Gelderwerb

Das Tun sei Nicht-Tun,
Das Geschäft sei Nicht-Geschäft,
Der Genuß sei Nicht-Genuß,
Das Große sei Kleines,
Das Viele sei Weniges.
Lao-Tse

Alles ist einmal genug, wenn man mehr und mehr davon hat: genug Essen, genug Schlaf, genug Arbeit, genug Unterhaltung, genug Raum, genug Kinder, genug Reisen, genug Feste. Nur eines kann der Mensch anscheinend nie genug kriegen: Geld. Diese Unersättlichkeit an Geld ist eine Krankheit, weil sie zur ewigen Geldsehnsucht mit all ihren zerstörerischen Folgen führt. Es gehört daher zur Lebensweisheit, mit dem Geldverdienen beizeiten Schluß zu machen.

Hat man sein Häuschen und sein Selbstversorgergrundstück und ist man zu dem Schluß gekommen, beispielsweise 6000 DM im Jahr verdienen zu wollen, dann soll man sich, wenn man das Leben mit dieser Summe versucht hat und alles klappt, weiterhin mit so wenig Geld begnügen und sich nicht verleiten lassen, mehr und mehr zu verdienen, bis man allmählich wieder in die Unfreiheit und Gehetztheit zurückfällt. Aber diese Gefahr besteht ja erst später. Zunächst muß man die Aufgabe lösen, den richtigen Gelderwerb zu finden.

Am angenehmsten sind Arbeiten, die man im Rahmen der eigenen Wirtschaft verrichten kann: Obst- und Gemüseanbau (also Erdbeeren, Salat, Karotten, Radieschen, Johannisbeeren), ferner Honig gewinnen, Schafzucht und ähnliches. Baumobst liefert erst nach einigen Jahren Ertrag. Wer Schafe hält, kann im Winter Strickwaren für den Verkauf anfertigen

Meine besten Einkünfte bringen mir Gartenerdbeeren. Bei 4000 qm Erdbeerfeld und zwei Monaten Arbeit im Jahr einschließlich Verkauf erziele ich 3000 DM Reingewinn. Aber ich muß die Ernte auf der Straße an Passanten verkaufen. Verschiedene Umstände sind mir dabei günstig. Vor allem die Bequemlichkeit des Publikums, das nicht erst ins Geschäft gehen und sich an der Kasse anstellen muß, sondern nur den Arm aus dem Autofenster zu strecken braucht. Ferner, daß ich an Wochenenden verkaufe. Besonders aber, daß meine Erdbeeren ganz frisch, nämlich am Verkaufstag geerntet sind. Daß sie spritzmittelfrei gezogen sind, macht sie auch allmählich bekannt und beliebt. Von Jahr zu Jahr habe ich mehr Stammkunden. Konkurrenz habe ich keine, denn Erdbeeren erfordern viel Handarbeit. Bauern bevorzugen aber Maschinen.

Im allgemeinen sind ganz sichere Einkünfte nur aus zwei Zweigen zu erwarten: Lebensmittel und Kleidung. Mit Luxus- und Ziergegenständen, Kunst und Kunstgewerbe, auch noch so schön bemalten Tellern, originellen Broschen und Ketten kann man nur bei großem Glück Geld verdienen. Für den sicheren Erwerb eignet sich das Nützliche besser als das Schöne. Die Leute besitzen schon zu viel Kleinkram.

Kunst, Kunstgewerbe, Musik und Literatur sollten wie Spiel, Geselligkeit und Gesang als liebenswürdige Unterhaltung gepflegt werden, nicht aber als Nützlichkeit zum Geldverdienen. Wer jetzt lernt, Bauernmöbel anzumalen oder zu töpfern oder Gitarre zu spielen und dazu zu singen oder Gedichte zu machen, der soll sich daran von Herzen erfreuen, aber er soll nicht davon träumen, das nötige Geld damit zu verdienen. Das mag vereinzelt gelingen. Aber meistens gibt es nichts als Enttäuschung, aus der einem das Schimpfen, daß die Leute alle Banausen sind, die die schönen Schöpfungen nicht zu würdigen wissen, auch nicht heraushilft. In der Regel gibt es Geld nur für nützliche Arbeiten: Putzen, Bier ausschenken, Urlaubsvertretungen in allen Sparten, Lastwagen fahren, Mauern, Nähen, Kochen, Servieren usw.

Geht man für den Erwerb außer Haus, so kann man meist mehr verdienen als zu Hause. Man darf sich nur nicht scheuen, Saisonarbeiten im Fremdenverkehr, Arbeiten als Stubenmädchen, Schreibkraft oder Geschirrspülerin zu übernehmen, Kinder zu hüten oder Drecksarbeit zu verrichten. Auch solche Posten bekommt man oft: Hilfsmechaniker in einer Autowerkstatt, Bauarbeiter, Gartenpfleger, Forstarbeiter und Meinungsbefrager. Doch nur zu leicht gerät man bei dieser Art Erwerb wieder in die alte Abhängigkeit - in den Streß.

Nachdem wir alle einmal recht verbildet waren, kommt es leicht zu Entzugserscheinungen und zum Rückfall in die Konsumtrottelei. Ich rate daher mehr zu einem, wenn auch recht bescheidenen Komfort. Wichtig dabei bleibt die Einstellung: Nur kein Fortschritt, bescheiden bleiben, lieber noch bescheidener werden. Hat man eine Weile einen kleinen Gebrauchtwagen benützt und ist dieser völlig unbrauchbar geworden, so fragen wir uns: Würde nicht auch ein noch sparsamerer Wagen genügen?

Wenn Arbeit Laster wird

Wenn Arbeit etwas Gutes wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen.
Sprichwort aus Haiti

»Was willst du einmal werden?«, lautet die Verlegenheitsfrage, mit der sich fremde Leute, Bekannte, Verwandte bei Kindern anzubiedern versuchen, wenn sie sonst nichts zu sagen wissen.

Eigentlich eine Frechheit, »was willst du werden?«, als ob man noch nichts wäre. Man ist ein Mensch, und mehr kann man gar nicht werden, allenfalls weniger. Freilich ist die Frage anders gemeint. Sie zielt auf einen Beruf ab. Und der ist für die meisten Leute nichts anderes als eine mehr oder weniger verabscheute Arbeit zum Zwecke des Geldverdienens. In meiner Kindheit wollte man mir die Arbeit dadurch unausweichlicher und schmackhafter darstellen, daß man auf die Tiere verwies, die sich ein ganzes Leben lang für ihre Nahrung plagen müssen. Daß selbst die »fleißigen« Ameisen und Bienen außer der Nachtruhe noch die Hälfte des Tages in ihrem Bau dösen und gar nichts tun, daß die Vögel, ohne auf Insektenjagd oder Brautschau zu gehen, den größten Teil des Tages auf einem Zweig herumsitzen, gelegentlich ganz »sinnlos« zum puren Vergnügen zwitschern und sich neugierig und lange in der Runde umsehen, daß die kraftstrotzenden Löwen nur alle paar Tage auf die Jagd gehen, die meiste Zeit aber herumliegen, daß also die Arbeit nur einen kleinen Teil des Tages ausfüllt und den Affen überhaupt nicht bekannt ist, da sie nur wie im Schlaraffenland die von der Natur gebotenen Früchte zu ernten brauchen, das hat man nicht gesagt. Mit Vorspiegelung falscher Tatsachen hat man uns zu einer falschen Lebensauffassung erzogen. Das Resultat sind lauter unglückliche Menschen, wohin man sich auch wendet, wenn man nur hinter die Fassade blickt.

Der nomadische Urmensch hat sich gewiß nicht den ganzen Tag geplagt, um seine Beeren und Wurzeln zu sammeln. Das winzige Volk der Tasaday auf den Philippinen lebt steinzeitlich - hoffentlich immer noch. Journalisten und Wissenschaftler verschiedener Richtungen haben sie besucht. Man stellte »mit großem Erstaunen fest, daß die Tasaday ohne große Mühe, ja fast spielerisch ihre Nahrung im Dschungel fanden. Ein amerikanischer Journalist stoppte sie bei dieser Tätigkeit mit der Uhr. Innerhalb zweier Stunden hatten zwei Männer so viel Eßbares gefunden, daß sieben Menschen einen Tag lang gut und reichlich viel essen konnten... Die Tasaday führen ein Leben, dessen Wünsche in so kurzer Zeit und mit so geringer Anstrengung erfüllt werden können, daß ihnen viel Zeit der Muße bleibt, welche sie vertrödeln und verplaudern.« (H. Tichy: Tau-Tau)

Wenn ich es nicht von den Tasaday oder Affen her wüßte, ich fühle es deutlich in mir: Der Mensch ist von Natur aus kein Arbeiter. Erst unsere Kulturgesellschaft - auch Bibel und Christentum - erzieht ihn gegen großen Widerstand dazu und hält diese Untat für ein gutes Werk.

Arbeit macht, wenn sie natürlich ist, kurze Zeit Freude, dann wird sie neutral, schließlich unangenehm. Auch die Zeitspanne bis zum Umschwung habe ich an mir deutlich beobachtet: Nach zwei bis drei Stunden ist jede Arbeitslust vorbei, auch wenn es sich um eine erfreuliche, leichte Arbeit handelt, meinetwegen Erntearbeit, Bäumchen stutzen, Pilze sammeln oder Bilder malen. Eine Arbeit über zwei Stunden wird abstoßend, über drei Stunden unmenschlich. Kein Wunder also, daß die hochzivilisierten Länder voller unglücklicher Menschen sind. Die Quote der Schülerselbstmorde verdoppelt sich ständig. Das hat vielerlei Ursachen. Aber darf man denn Kinder fünf Stunden und mehr täglich arbeiten lassen, noch dazu in so unnatürlicher Weise und Umgebung?

Ich kenne den Einwand, wenn jeder nur 20 Stunden in der Woche arbeiten wollte, folgte die Armut auf dem Fuß. Keineswegs! Selbst wenn wir nicht von Selbstversorgern sprechen, die mit dieser Arbeitszeit ohnehin leicht auskommen können, dann verdient man in 20 Wochenstunden immer noch genug, um angenehm leben zu können. Mit 40 Wochenstunden verdienen die meisten Menschen mehr als sie brauchen.

Wohl stimmt es, daß viele Leute mit ihrer Freizeit nichts anzufangen wissen, an Sonntagsneurosen und Angst vor dem Ruhestand leiden. Aber nur, weil sie sich falsch entwickelt haben. Erst macht man sie zu Arbeitssklaven und zerstört ihre Instinkte dafür, geruhsam, angenehm und gesellig den Tag zu verbringen, dann entläßt man sie in eine Freizeit, die auf widernatürliche Art manipuliert und von Geschäftemachern und der Vergnügungsindustrie als Profitquelle gelenkt wird. Man muß ja nicht mitmachen, gut. Aber wer ist schuld, wenn einer in die Falle geht, der Gefangene oder der Fallensteller?

Der freizeitberaubte Mensch ist nicht mehr für die Freizeit geeignet. Läßt man gefangene Gazellen frei, so gehen sie meist zugrunde. Manchen anderen Tieren geht es ähnlich. Der Mensch bewältigt das Freizeitangebot auch nicht besser. Das heißt noch lange nicht, daß er von Natur aus keine Freiheit und Freizeit in größerem Umfang verträgt. Lassen wir uns nicht von dem vielzitierten Beispiel irreführen: Mit 65 ging er in Pension, ein Jahr später ist er an Langeweile und Verlust des Lebenssinnes gestorben. Arbeit lenkt ab, daher gibt es Beschäftigungstherapie. Sie kann Kummer und Sorge, Leere und Gemütsverklemmungen zurückdrängen. Für Kranke kann sie gut sein. Aber sie kann auch gesunde, gute Bedürfnisse verscheuchen und dadurch krank machen.

Wenn wir wenig arbeiten und verdienen, geht es nicht mehr, Sektparties zu veranstalten, alle Jahre neue Kleider nach der Mode anzuschaffen, große Autos zu fahren, Flugreisen zu unternehmen oder Zweitwohnungen zu bauen. Aber gleichzeitig wird man erkennen, daß z.B. das kostenlose Federballspiel auf einer Waldlichtung mehr Spaß macht als das Tennisspiel im Käfig.

Unlängst klagte mir eine Bäuerin ihr Leid. Sie war gerade dabei, Kekse auszustechen. »Heute habe ich schon 14 Stunden hinter mir. Und dann muß ich noch einen Korb voll Wäsche bügeln. - Ach ja, mit fünf Kindern!« Ich dachte mir, was braucht ihr Kekse? Ich lebe auch ohne Kekse sehr angenehm. Und wozu bügelst du Wäsche? Aber gesagt habe ich nichts. Sie dafür redete weiter: »Nach 18 Jahren ohne Urlaub habe ich 14 Tage frei machen wollen mit meinem Mann. Aber nach zehn Tagen haben wir es nicht mehr ausgehalten. Wir wollten unbedingt wieder an die Arbeit.« Doch froh war sie bei der Arbeit auch nicht, nur stolz auf ihre Pflichttreue. Die Arbeitssucht hat wahrscheinlich schon mehr Lebensfreude und Lebenstüchtigkeit zerstört als die Alkoholsucht. Ich fragte sehr zurückhaltend: »Wie wäre es, wenn du morgen die Wäsche bügelst?« »Morgen muß ich Zwetschgenkuchen backen und dann noch zum Friseur!« »Also dann gute Nacht.«

Meine eigene Arbeit ist ungleich verteilt. Es gibt Stoßzeiten bei der Ernte, da arbeite ich den ganzen Tag. Das sind Ausnahmen. Gewöhnlich komme ich mit zwei bis drei Stunden täglich aus und erreiche damit alles, was vonnöten ist. Sogar Reisen kann ich mir reichlich leisten, wenn ich im Kombiwagen schlafe. Ein Zelt würde auch genügen. Die meiste Arbeit in unserer Wegwerf- und Wohlstandsgesellschaft ist überflüssig und wird über Geld in Dinge umgesetzt, die nicht viel Freude machen und bald wieder vergessen sind. Jeden Luxus muß man mit Arbeit büßen.

Einen Großteil des Geldes, welches durch Mehrarbeit über das nötigste hinaus verdient wird, verbraucht man dafür, die Nachteile aus der Mehrarbeit wieder auszugleichen: Wenn ich immer auf dem Land wohne, brauche ich keine Zweitwohnung auf dem Land. Ich brauche keinen schnellen Wagen, um die knappe Zeit zu sparen, bin nie bettlägerig, habe keine Arzt- und Medikamentenkosten, brauche keine Sportgeräte, um mich fit zu halten, und mich um keine Mode zu kümmern.

Ich bin ein bequemer Mensch und gebe das leichten Herzens zu, weil ich überzeugt davon bin, daß der Mensch von Natur aus bequem ist. Faulheit ist eine menschliche Wesensart, beim Erwachsenen mehr, beim Kind weniger. Die glücklichsten Menschen, die ich kannte, Hirten, Höhlenbewohner, Landstreicher, Fischer: Sie waren vorwiegend faul. Warum soll ich es nicht sein?

Ich will nicht die ständige Untätigkeit verherrlichen. Aber dazwischen, zwischen Müßiggang und Arbeit (= hart, mühsam, eilig, anstrengend) gibt es den weiten Bereich lässiger, spielerischer Beschäftigung. Eine gute Mischung ist am besten und am leichtesten zu verwirklichen für den, der zurückfindet zum einfachen, naturnahen Leben. Der französische Städteplaner Aillaud sagt dazu: »Das schreckliche 19. Jahrhundert hat den Leuten in den Kopf gesetzt, daß Arbeit eine Tugend sei. Daß man immer mehr verdienen müsse, um mehr ausgeben zu können. Daß man nicht leben könne, ohne alle möglichen Bedürfnisse zu befriedigen. Aber das ist nicht richtig. Nichtstun genügt zum Leben. Nicht aus Faulheit, sondern um wirklich zu leben. Man hat die Leute dazu abgerichtet, daß sie ihr Leben damit vergeuden, es zu verdienen.« Viel Arbeit ist schädlich und unsittlich, denn sie macht krank, zerstört Frieden, Wohlbehagen, Lebensglück und Menschlichkeit. Wenn einer keinem äußeren Arbeitszwang unterliegt, sondern nur tut, was ihm für seine Bedürfnisse nützlich erscheint und Spaß macht, dann kann man von nützlicher Arbeitslosigkeit dieser Menschen sprechen. »Das bedeutsamste Privileg eines hohen sozialen Status könnte ohne weiteres in der Freiheit zu nützlicher Arbeitslosigkeit bestehen,« sagt Ivan Illich in den Fortschrittsmythen.

Was du morgen kannst besorgen, das verschieb' auf übermorgen!

Wer keine Muße kennt,
lebt nicht!
Aus Sizilien

Daß man mit Leistung, Besitz und Ansehen anderen Leuten imponieren und sogar ihre Gunst erwerben kann, ist eine Verirrung der Gefühle, die zu einer gefährlichen Fehlentwicklung geführt hat. Denn der gewaltige Ansporn, der daraus folgt, führt nicht zu Lebensglück und gesundem Gedeihen der Menschen, sondern zum genauen Gegenteil. Bereits die Kinder werden nahezu ausweglos in diese Sackgasse getrieben: »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!«, hat man mich in der Kindheit gelehrt. Nur so erreicht man etwas. Daher bin ich auch etwas geworden, nämlich unglücklich, damals.

Vor 28 Jahren habe ich das süße Nichtstun im Süden mit Erstaunen kennengelernt. Ich hatte allerhand Umwälzungen in mir zu bewältigen, um alte Glaubenssätze nach neuen Erkenntnissen zu verändern. Eine davon war mein neues Bekenntnis: Was du morgen kannst besorgen, das verschieb' auf übermorgen! Nach der alten Einstellung ist man fast immer zur Eile getrieben, denn es gibt immer mehr zu tun, als man bewältigen kann. Der äußere Erfolg wird damit gesteigert, die Leistung, das Ansehen, aber auch das Unbehagen.

Durch meine neue Einstellung fällt viel Arbeit fort. Sie verführt eher zur Bequemlichkeit, ja Schlamperei, macht aber erfinderisch in Bezug auf Arbeitseinschränkung. Manches erledigt sich von selber. Etwa den Garten zu gießen. Oder das Auto zu waschen, weil inzwischen ein solches Dreckwetter eingesetzt hat, daß der Wagen sogleich wieder verschmutzen würde. Abgesehen davon, daß man sich etliche inzwischen überholte Arbeiten gänzlich erspart, bekommt man auch ein neues Verhältnis zum Wert der Arbeit. Man lernt Wichtig von Unwichtig zu unterscheiden und auf unwichtige Arbeiten zu verzichten. Wenn ich mir mit der Sauberhaltung der Wohnung nicht viel Arbeit mache, so geht es mir um kein Haar schlechter als in einer blitzsauberen Wohnung. Mein Riesenvorteil dabei ist aber, ich habe Zeit, Ruhe, Muße für Beobachtungen und Spaziergänge, für Besuche und Plauderstündchen, für Spiele, Sonnenbäder und Fahrten, um nur weniges aufzuzählen. Man lernt die Genügsamkeit und Einschränkung der Arbeit am besten durch Hinauszögern.

Die Tasaday, jenes erwähnte steinzeitlich lebende Völkchen auf den Philippinen, brauchen diese Lebenshaltung nicht erst zu erlernen, sie ist offenbar natürlich. Das Nichtstun hat sie in der glücklichen Primitivität verharren lassen und sie vor dem Fortschritt geschützt, da sie keine Arbeit und keine vermeintlichen Verbesserungen anstreben. In meiner Kindheit hätte man sie als abschreckendes Beispiel hingestellt: »Die sind faul«. Richtig, nämlich kein neurotisches Wrack. Mehr als ein Tasaday kann aus einem Menschen gar nicht werden, sie gehören zu den vollkommensten und glücklichsten Menschen der Erde.

Wenn es für mich eine Arbeit gibt, so entledige ich mich der Belastung sofort: Sie wird nicht getan, sondern auf einen Zettel geschrieben. Übersehen kann ich sie nicht mehr, ich habe sie ja schwarz auf weiß, und nun kann ich sie getrost vergessen. Ich habe ganze Listen von Arbeiten, wichtigen und weniger wichtigen. Alle werden mit Rotstift nach ihrer Wichtigkeit numeriert. Da steht meinetwegen Gartentor reparieren, Wäsche waschen, Salat pflanzen, Kartoffeln setzen, Türen streichen, Auto zur Inspektion, Bericht schreiben, Erdbeeren ernten, Wiese mähen, Kuchen backen usw. Jede bekommt ihre Nummer. Und in aller Gelassenheit und ohne Terminplanung werden die Dinge nach und nach bearbeitet und durchgestrichen, aber ja nicht zu viel an einem Tag. Diejenigen Arbeiten, die sparen helfen, die vor Schaden, Verlust oder Verderb schützen, sind meistens vorrangig. Sind mehrere Neueintragungen vorgekommen, wird neu numeriert. Habe ich mein letztes oder vorletztes Hemd angezogen, so kommt Wäschewaschen an die erste Stelle. Die hohen Nummern, so ab 15 oder 20, die werden meistens nie erledigt, da gehe ich lieber spazieren, was ist schon dabei? Und so kann es passieren, daß ich schon seit zwei Monaten einen Nußkuchen backen will, was immer noch nicht geschehen ist. Kürzlich aber hat mir eine liebe Bekannte einen Apfelstrudel gebracht, was sie hoffentlich wiederholen wird. Nummer 22 kann also gestrichen werden.

Rationalisierung ohne Freiheitseinbuße

Der Narr tut, was er nicht lassen kann,
der Weise läßt, was er nicht tun kann.
Chinesisch

In meiner Küche liegt immer ein Zettel bereit mit der Aufschrift »Villach«. Wenn irgendeine Sache bald ausgeht, Nägel, Zucker, Salz, Leim, Honig, Schreibpapier usw., so wird sie dort aufgeschrieben. Habe ich dann einmal in Villach zu tun, dann nehme ich den Zettel mit und kaufe ein. Ich brauche nicht öfter als vier- oder fünfmal im Jahr einzukaufen und käme zur Not auch mit zwei Einkäufen aus. Außer Tomaten, Eiern und Salat friere ich fast alle leicht verderblichen Lebensmittel ein. Gehe ich durch ein Kaufhaus, entsetzt mich jedesmal der Gedanke, wie viele kostbare Lebenszeit die Leute mit dem unrationellen Einkaufen vergeuden und wie teuer die Motorisierten das häufige Fahren kommt: vier Stunden pro Woche, macht 200 Stunden im Jahr, also mindestens 10 000 Stunden im Leben. Das sind zwei Jahre nichts als Einkaufen.

Wenn ich etwas in den Keller zu bringen habe, leere Schachteln, Gläser, Flaschen, so stelle ich die Dinge nur am Treppenoberende ab. Habe ich dann einmal etwas von unten zu holen, etwa Kartoffeln, Kraut, Werkzeug oder Äpfel, dann nehme ich die abgestellte Sachen mit hinunter und erspare mir einen Weg. Wege in den Garten sind ebenso unter Kontrolle. Das ist eine kleine Belastung an Konzentration. Aber man gewöhnt sich daran und spart viel Zeit und Arbeit.

Wenn man einmal das Bewußtsein entwickelt hat, keine Zeit und Arbeit zu vergeuden, dann hat man zu Anfang täglich neue Ideen, wie noch rationeller zu arbeiten ist. Rationalisierung ist nämlich keineswegs Vorrecht der Industrie oder Verwaltung, sondern auch in der Natur sehr verbreitet, wie wir an vielen Körperkonstruktionen und Lebensprozessen sehen können.

Beim Hausbau erspart man sich viele Fahrten, wenn man seinen Materialbedarf mit allen Nebensächlichkeiten voraus plant und rechtzeitig kauft, statt andauernd fehlende Dinge nachzuholen, wie das üblich ist.

Sehr unrational sind die meisten Kochrezepte, sowohl mündlich überlieferte als auch die aus den Kochbüchern. Für nur winzige Qualitätsverbesserungen, wenn überhaupt welche, werden da vielerlei Mühen, Zusatzarbeiten, geradezu »mystische Geheimverrichtungen« verordnet, bis die Kocherei zu einem pompösen Ritual und die Ernährung zur Nebensache wird.

Es gibt aber auch eine andere Art von Rationalisierung. Ich könnte beispielsweise mein ganzes Gelände mit Erdbeeren bepflanzen, aus dem Ertrag Geld machen und davon alles, was ich brauche, kaufen. Diesen Weg gehen die Bauern im allgemeinen, Monokulturen, ganz nach dem Muster der Industrie, die sich auch immer nur auf wenige Artikel spezialisiert. Und diese Vorgehensweise ist sogar besonders wirtschaftlich. Der Ertrag ist größtmöglich. Trotzdem verwerfe ich diese Art der Rationalisierung. Ich will kein einseitiges Risiko eingehen. Mißraten einmal die Erdbeeren, dann ist der ganze Jahresertrag verloren. Ich will mich nicht zu sehr in Marktabhängigkeit begeben und einseitige Spitzenarbeit verrichten müssen. Die Arbeit wäre eintönig und ungesund, ewig die gleiche. Schließlich wäre die Monokultur für Boden und Pflanzen auf die Dauer schädlich. Eine solche Monokultur nach den Regeln der Landwirtschaftsschulen wäre mir eine zu große Freiheitseinbuße, ich wäre zu stark an die Abhängigkeit von Markt, Wetter und Arbeitspflichten gebunden. Und die Freiheit, heute dies, morgen das und übermorgen gar nichts zu tun, wäre dahin.

Gewinndenken entartet leicht zum Streben nach immer mehr Gewinn. Aber ich will in erster Linie satt werden, Freude haben und Freizeit genießen, erst danach kommt das Geldverdienen.

Die Jagd nach Höchsterträgen krankt auch daran, daß der Mehrertrag nicht Schritt hält mit der Mehrarbeit. Will man aus jedem Gemüsebeet das Maximum herausholen, jeden Vogelfraß an den Kirschen und Erdbeeren verhindern, dann hat man unentwegt mit den kleinsten Unkräutlein zu kämpfen, muß teure Vogelnetze spannen oder ständig die gefräßigen Gesellen verjagen sowie Schnecken und Wühlmäuse bekämpfen. Ich finde das unrationell. Lieber 20% mehr anbauen und 20% verkommen lassen. Stellen wir uns doch nicht auf Kriegsfuß mit der Natur.

Ich rationalisiere, wo ich kann. Aber nur dann, wenn mir daraus nicht irgend ein Nachteil erwächst. Rationalisierung ist eine Form der Sparsamkeit, kein Selbstzweck. Nichts verschwenden, keine übertriebenen oder unwichtigen Arbeiten verrichten, alle Arbeiten so einrichten, daß der Nutzen groß, der Aufwand klein ist. Große Arbeiten für kleinen Nutzen, das sollte man sich abgewöhnen.

Klein bleiben

Einfachheit, Einfachheit, Einfachheit! Laß deine Geschäfte zwei oder drei sein, sage ich dir, und nicht hundert oder tausend; statt eine Million zu zählen, zähle ein halbes Dutzend und führe Buch auf deinem Daumennagel!
H.D. Thoreau

Die Selbstversorgung klappt immer. Und sie ist durch die Kleinheit des eigenen Bauches begrenzt.

Wenn der Gelderwerb klappt, dann taucht fast zwangsläufig der Gedanke auf, ob man ihn nicht ausweiten könnte. Die leichte Gewinnvermehrung, Vielseitigkeit und der Universalwert des Geldes üben magische Versuchungen aus. Wahrscheinlich ist das Geld die gefährlichste Erfindung des Menschen - ohne Geld hätte er auch kaum die Atombombe erfunden.

Das Denken rund um das Geld erfolgt nach besonderen Regeln. Von Schulbeginn an wird unser Denken weitgehend nach diesen Regeln trainiert. Wenn einer fünf Kälber gekauft hat, sie ein halbes Jahr auf seiner Wiese weiden läßt und sie im Herbst an den Fleischer verkauft und zwar um 300 DM je Kalb teurer, als er sie eingekauft hatte, dann hat er 1500 DM Gewinn bei wenig Arbeit. Kaum einer kann sich der überzeugenden kaufmännischen Überlegung entziehen, die ihn zur folgenden Milchmädchenrechnung treibt (und so werden bereits die Schulaufgaben gestaltet): 10 Hektar = 50 Kälber = 15 000 DM Jahresgewinn.

Aber nun geht die Kalkulation erst los. Was kostet die Pacht, wieviel das Einzäunen, wie werden die Kälberpreise im Frühjahr und wie im Herbst sein? Es droht die Mühe, geeignete Grundstücke und geeignete Kälber zu finden, ausreichenden Trinkwasseranschluß für die Tiere zu legen und eine weitläufige Überwachung durchzuführen. Man muß viel Zaun bauen und geht ein hohes Risiko ein, daß der Absatz im Herbst nicht nach Wunsch verläuft. Und was geschieht bei Unwetter oder Krankheit der Tiere? Je größer die Unternehmung, umso unruhiger der Schlaf.

Andere halten Schafe, gewinnen Wolle, stricken herrliche, grobe Jacken. Eine Jacke bringt 150 DM Gewinn bei 20 Stunden Arbeit. Und das noch dazu im Winter, wenn man besonders viel überschüssige Zeit hat. Schnell heißt es dann, ich kann in einem Winter 20 Jacken stricken. Aber: Wer soll die vielen Jacken kaufen? Wie werden wir die vielen Schafe unterbringen? Und muß man bei dem vielen Stricken nicht verrückt werden? Führt das nicht zu Familienkrisen?

Ich verdiene gut an 4000 Quadratmetern Erdbeerfeld. Kann ich nun auf vier Hektar das Zehnfache verdienen? Keineswegs. Ich hätte zu kalkulieren: Grundpacht, bezahlte Erntehelfer, Absatzschwierigkeiten, Spottpreise beim Absatz an Supermärkte und an die Marmeladenfabrik, große Ängste um die so leicht verderblichen Früchte, Eile, Sorgen noch und noch. Bei meinen 4000 Quadratmetern werde ich jede Tagesernte direkt an den Verbraucher los und erziele hohe Preise. Je kleiner die Unternehmung, um so ruhiger der Schlaf.

Mehr, mehr, mehr ist seit Jahrhunderten die verhängnisvolle Devise der Bauern. Getreide, Zucker, Wein, Milch, Fleisch, alles wurde immer mehr, wurde zu viel und kann nicht mehr untergebracht werden. Die Maschinen und die Bauten wurden immer größer, die Schulden und die Zinsen immer mehr. Viel mehr Arbeit bei wenig mehr Reingewinn. Butterberge, Milchschwemme, Rindfleischüberschüsse!

Das kommt von der Denkart der Vervielfältigung. So denkt nicht nur die Industrie, so denken nicht nur die Bauern, sondern so denkt auch der Staat. Seine schlecht beratenen Superkräfte waren so kurzsichtig, als der Boom vorbei war und sich das Wirtschaftswunder neigte, nicht etwa mit Bescheidenheit zu reagieren, sondern mit ausgeborgtem Geld die Wirtschaft wieder anzukurbeln und die Firmen zur Vergrößerung anzuspornen. Man baute, investierte und - vollbeschäftigte, als ob das nicht anders auch ginge. Nämlich: alle sollen verdienen, aber weniger. Wem soll man aber schließlich die ganze Überproduktion verkaufen? Das zu fragen wäre wohl von Staatsmännern zu viel verlangt, die ja höchstens bis zur nächsten Wahl kalkulieren. Kein Wunder also, wenn am Ende die Säcke leer und die Konten rot sind.

Der strahlende Reichtum der Multis und der berühmten Milliardäre blendet uns und zeigt, wie großartig dennoch das Prinzip der Vervielfältigung funktioniert. Aber ich wage nicht, die kriminellen Praktiken zu schildern, die hierbei oft angewendet werden. Erinnere ich mich doch an den Mord, der an einem Mitarbeiter der Warentest-Zeitschrift DM-Test im Fahrstuhl verübt wurde, weil er in redlicher Pflichterfüllung die Ware einer Firma als miserabel entlarvt hatte. Übrigens möchte ich kein Supermanager sein - auch nicht für alle Reichtümer der Welt.

Wir Normalbürger sind unserer ganzen Wesensart nach kaum zum fortwährenden Wirtschaftswachstum angelegt. Wachstum löst Süchtigkeit aus. Die psychischen Suchtgifte zerstören viel mehr im Leben als die stofflichen. Ich weiß viele Beispiele aus meinem Bekanntenkreis, Gebildete und Ungebildete, alle sind sie anfällig. Einer meiner Nachbarn hatte vor 15 Jahren ein Pferd, mit dem er ackerte. Das Pferd kam fort, ein Traktor mußte her. Jetzt hat er zwei Traktoren und acht Rinder statt drei wie früher. Er hat einen Kamelhaarmantel - Bauchweh, Herzweh und einen schlechten Schlaf. Er hat einen diplomierten Sohn und ein Fräulein Doktor zur Tochter und - außer seinem Schnapserl keine rechte Freude mehr.

Woher kommt das Gerücht, auf dem Lande muß man sich abrackern, hat viel Plage für wenig Geld und das alles nur, um überhaupt zu leben? Vielen Fällen bin ich nachgegangen und habe jedesmal gefunden: Die Leute wollten entweder einen luxuriösen Lebensstandard oder ihren Besitz erweitern, also anbauen oder Boden dazukaufen oder Geld sammeln für ihre Kinder. Wer aber nur so viel erzeugt, wie er bei bescheidener Lebensart verbraucht, kommt mit vier Arbeitsstunden täglich im Jahresdurchschnitt aus.

Von alten Leuten auf dem Land hört man gelegentlich, sie hätten nie Luxus oder Überschüsse gehabt und sich trotzdem halbtot geschuftet und sie verwünschen diese alte Zeit. Fragt man genauer nach, so stellt sich heraus, daß diese Menschen entweder einen schwer verschuldeten Hof übernommen oder mit nichts angefangen hatten und sich ihren Betrieb erst aus bäuerlichen Einkünften aufbauen konnten. Das allerdings ist zu hart und würde ich niemandem raten. Das Startkapital muß man sich verdienen, bevor man aufs Land geht. Ist ein schuldenfreier Kleinbetrieb erst einmal vorhanden, dann genügt wenige , abwechslungsreiche, oft erfreuliche Arbeit, um das an Ware und Geld zu erbringen, was verbraucht wird, nicht mehr.

Wollen wir in erster Linie Freiheit und Lebensfreude und nicht zeigen, wer wir sind, was wir alles können, dann müssen wir nach einigen harten Aufbaujahren«genug« sagen können und uns mit dem Besitzstand zufrieden geben. Ein kleines Sparguthaben für Reparaturfälle schadet freilich nichts.

Wer klein bleibt, hat mehr Zeit zum Leben und mehr Freude daran.

Gruppenbildung

Nächstenliebe ist die einzig mögliche Realpolitik
Fritjof Nansen

Zu den wichtigsten Bedürfnissen des Menschen gehören Gemeinschaftsbedürfnis, Geschlechtstrieb, Geltungsbedürfnis, Tätigkeitsdrang und Erlebnisbedürfnis. Der Mensch, der von seiner Abstammung her ein Gruppenlebewesen ist, kann einen großen Teil, wenn nicht gar die Hälfte seiner Bedürfnisse nur in Gemeinschaft mit anderen Menschen befriedigen. Freundschaft und Liebe sind ihm daher geradezu unentbehrlich.

Was sind das aber für schreckliche Gruppen, in die der moderen Mensch normalerweise hineingezwängt ist? Er arbeitet mit Leuten zusammen, die er sich nicht ausgesucht hat. Er lebt dort unter Arbeits- und Erfolgszwang, unter Karriereängsten, Rivalitäten und Hetze, so daß ihm schließlich Menschengruppen Unbehagen bereiten und er froh ist, wenn er allein sein kann. Kein Wunder, daß es immer weniger gute Freundeskreise gibt. Immer wieder höre ich es: »Bekannte habe ich viele, aber keine Freunde«.

Schwerer und schwerer wird es, zusammen zu leben, so daß 1990 in der Bundesrepublik Deutschland bereits 35% aller Haushalte Einzelpersonenhaushalte sind. Ein verhängnisvoller Teufelskreis: Man bringt keine Gruppenharmonie mehr zusammen. Deshalb wohnt man isoliert, was besonders teuer ist. Um das teure Leben bezahlen zu können, verbohrt man sich in Arbeit und Vorwärtskommen, das aber nimmt einem Zeit, Muße, Laune und Gelassenheit, um Freundschaften zu knüpfen und zu pflegen. Es langt allenfalls für ein bißchen Zeitvertreib mit anderen.

Kaum eine andere Lebensform scheint mir geeigneter, die Menschen wieder zueinander zu führen, als das nachbarliche Leben auf dem Lande, vorausgesetzt, daß eine ähnliche Denkart verbindet. Das heutige Landleben ist von Rivalitäten, Gewinnstreben, Prestigebedürfnis, Besitzgier und Streitsucht derart vergiftet, daß viel mehr Feindschaft als Freundschaft herrscht. Wegen überlaufender Hühner wird die Nachbarskatze vergiftet, wegen eines umgeschlagenen Baumes, der genau auf der Grenze steht, werden teure Gerichtsprozesse geführt, man wird wegen Betretens fremder Wiesen verklagt. Lieber will man recht behalten und siegen als Freundschaft zu bewahren. Das sind die Früchte einer Erziehung und Gesinnung, in der die Materie im Mittelpunkt des Lebens steht und der Mensch hauptsächlich dazu da ist, diese Sachen zu besitzen und zu verwalten.

Finden sich aber Leute zum Siedeln auf dem Lande zusammen, die die Hölle der Stadt hinter sich lassen und sich auf die ursprünglichen Werte des Lebens besinnen, wie man sie hatte, bevor das Besitz- und Machtdenken um sich griff, Leute, die sich im Umgang mit Pflanzen, Tieren und dem Boden wohlfühlen und sich zu ihnen bekennen, die sich am gemeinsamen Spiel und Treiben freuen und nicht aneinander verdienen und nicht einander übertrumpfen wollen, die sich freuen, wenn es dem anderen gut geht, die die Geruhsamkeit schätzen und einander mögen, dann entsteht eine Gruppe der Freundschaft wie in alten Zeiten.

Nebenbei ergeben sich in solch einer Gruppe große Vorteile im Hinblick auf Freiheit und gegenseitiger Hilfeleistung. Heute wagt doch kein Bauer, seine Kuh vom Nachbarn füttern zu lassen. Der gibt ihr womöglich Nägel ins Futter. Unter Freunden kann man Kinder gemeinsam hüten und gegenseitig das Vieh betreuen, so daß jeder reichlich Freizeit hat.

Daraus darf man nicht den Schluß ziehen, je enger um so besser. Der vielerorts geübte Stil völliger Wirtschafts- und Wohngemeinschaft in Landkommunen stößt auf große Schwierigkeiten, weil man einerseits die beengenden Rangordnungen und Disziplinierungen vermeiden will, andererseits aber doch nicht genügend freundschaftlich harmoniert. Viele Köche verderben den Brei. Und so führen schließlich unwichtige Alltagsangelegenheiten wie frühes oder spätes Aufstehen, Geschirrspülen und Garten versorgen zu Streitigkeiten. Deshalb befürworte ich größtmögliche Unabhängigkeit und Selbständigkeit des einzelnen, während die Gemeinschaftlichkeit hauptsächlich eine Freizeitangelegenheit ist. Es gibt diese Einteilung gelegentlich bei primitiven Völkern, so zum Beispiel bei den Bewohnern von Zentral-Borneo: Hier lebt das ganze Dorf in einem riesigen, über hundert Meter langen Pfahlbau. Aber jede Kleingruppe, meist Eltern mit Kindern, hat ihre eigene Kleinwohnung in dem Gemeinschaftshaus. Jeder hat sein Eigentum, ein eigenes Feld und wirtschaftet unabhängig.

Es ist so leicht, diese glückliche Form des Zusammenlebens wiederzuerwecken, wenn wir uns nicht von Wirtschaftswachstum und Geltungssucht betören lassen, sondern uns ein wenig dem Geiste des Franz von Assisi nähern.

Die Harmonisierung des Lebens durch Einfachheit

Man heilt einen kranken Körper nur dadurch, daß man seinen ursprünglichen Lebensführungsrhythmus wiederherstellt.
Are Waerland

Wann kann ein heutiger Städter schon nach seinen Bedürfnissen leben? Nichts als Pflichten, Lasten, Zwänge, Aufbau, Vorbereitung, damit es einem später besser gehen soll und damit man ist wie andere und wie die Normen verlangen. Zwischendurch einmal ein lockerer Abend, ausnahmsweise eine Ferienreise zum Atemholen, damit man nicht erstickt. Sogar gesetzlich geregelt ist das: Am siebten Tag hat man zu ruhen und der Urlaub ist eigens dazu bestimmt, Kräfte zu erneuern, damit man sie nachher wieder vergeuden kann. Von der Lebenserfüllung in der Freizeit, wenn sie schon in der Arbeit nicht möglich ist, davon ist selten die Rede. Lange genug habe ich es im städtischen Beruf an mir selber erlebt. Das richtige Nahrungsbedürfnis stellt sich meist erst bei bewegungsreicher, natürlicher Lebensweise ein. Ich kenne Leute, die früh morgens appetitlos sind, andere, die aus Unruhe nie eine größere Mahlzeit vertragen, wieder andere, die wegen Training, Überfeinerung der Kost oder Sorgen viel zu viel essen, dann welche, denen es an Freude fehlt und die als Ersatz für andere Freuden essen und trinken bzw. fressen und saufen. Was für ein klägliches Unternehmen, mit Kalorientabelle und Waage, mit Tabletten für mehr oder weniger Bauchspeck, mit Arzt und Diät das aus dem Gleichgewicht geratene Nahrungsbedürfnis wieder in Ordnung bringen zu wollen. Einfaches Landleben, das ist alles.

Ein anderes Extrem, nämlich aus lauter politischem Fanatismus jedes Privateigentum abzulehnen, ist ebenso widernatürlich, daß es auf Dauer keine Freude macht. Man will seine Stube, seinen Teller, seinen Acker haben. Kein Mensch, keine Ideologie kann auf die Dauer Erfolg damit haben, gegen diesen angeborenen Besitztrieb zu revoltieren. Dabei ist es keineswegs subjektiv und nur Geschmackssache, was man als unangemessenen Besitz ansieht. Es ist nämlich genau das, was im naturnahen Leben zur Befriedigung der Grundbedürfnisse notwendig ist: genug Fläche, um aus dem Ertrag satt zu werden, eine Behausung, Kleidung und persönlicher Hausrat. Freilich ist das schwer abzugrenzen. Wozu gehören etwa Radio, Strom, Auto und Waschmaschine?

Ich kenne keinen einzigen Menschen, der sich sehr bemüht, wohlhabend zu werden und dabei glücklich bleibt. Die wenigen Reichen, die ich kenne, sind alle unglücklich, auch wenn sie es nach Kräften zu verheimlichen mit Geld auszugleichen suchen.

Mit dem Geltungsbedürfnis geht es uns nicht anders. Es ist zwar angeboren und in Maßen auch natürlich. Aber was die Zivilisation daraus gemacht hat, ist zerstörerisch. Kleist hat sich aus Ehrgeiz umgebracht, weil es ihm unerträglich schien, nicht mehr Anerkennung zu ernten. Unzählige Soldaten haben ihr Leben leichtfertig aufs Spiel gesetzt, damit man ihnen einen bunten Orden umhängt. Übrigens - Affen hängen sich derlei gern um und sehen auch gern in den Spiegel, also gut! Aber maßlose Übertreibung und Entartung sind es doch, die einen viel zu hohen Preis an Opfern und Leid fordern. Damit einer eine Zehntelsekunde schneller schwimmt oder läuft oder Ski fährt, ein paar Zentimeter höher springt oder weiter wirft, vertut er seine ganze Kindheit und Jugend mit Training, um schließlich unter Umständen Frühinvalide zu werden. Und die allermeisten ernten nicht einmal den ersehnten Ruhm. Alexander, Cäsar, Napoleon und Hitler haben in erster Linie aus persönlicher, entarteter Geltungssucht und keineswegs zum Wohle irgendeines Volkes Kriege geführt und Millionen Menschen umgebracht.

Tier und Urmensch haben keine großen Möglichkeiten, ihre Geltung zu steigern. Geltung verschafften sie sich durch Körperkraft, Auftreten und Verhalten. Der Mensch hat mit Hilfe der Zivilisation gefährlich viele Möglichkeiten, seinen Status zu erhöhen: Geld, Besitz, Macht, Kleidung, Ansehen und Würden, Ämter, Titel, Orden und dergleichen mehr. Nur wer darauf verzichtet, ist frei und gelöst. Eine besondere Rolle spielt dabei das Verständnis der Geschlechter untereinander. Denn der elementarste und häufigste Ursprung des Geltungsbedürfnisses ist der Wunsch, dem anderen Geschlecht zu imponieren. Deshalb finden wir am besten zum natürlichen Maß des Geltungsbedürfnisses zurück, wenn die Frauen ihr Verständnis gegenüber dem Mann und die Männer ihre Irrtümer gegenüber der Frau berichtigen: Geld, Auto und Titel der Männer »gelten« nichts, Pelz, Kosmetik und Schmuck der Frau »gelten« nichts. Echte Geltung haben sollte nur, was auch schon vor 10 000 Jahren galt: persönliches Wesen, menschliches Verhalten und der Leib des Menschen.

Der Ausleseprozeß der Natur läßt in einer Art Lebewesen nur geringe Abweichungen zu. Die Zivilisation verhindert die natürliche Auslese, die Zivilisation fördert die Spezialisierung und somit Abweichung von der natürlichen Mitte, und mit der Zivilisation und der Verstädterung entstanden schon sehr früh Klassen: Bauern, Handwerker, Krieger, Edelleute. Innerhalb dieser Klassen war man vor ein paar Jahrhunderten einander immer noch relativ ähnlich. Freundschaften hielten aber schon damals in der Regel nur innerhalb einer Klasse. Daher die vielbesungenen Liebestragödien, wenn sich Paare über die Klassengrenzen hinweg haben wollten.

Nun glaube ja niemand, wir hätten die Klassen überwunden! Was wir einigermaßen abgeschafft haben, ist nur die Isolierung und die Hierarchie der Klassen. Auch die Unterschiede zwischen den Klassen sind nicht mehr so groß, aber immer noch viel zu groß. Dafür haben wir heute mehr Klassen denn je, oder nennen wir sie lieber Gesinnungsgruppen: Fußballer und Bergsteiger, Briefmarkensammler und Schachspieler, Musikfans, Stammtischbrüder, Kleintierzüchter, Schrebergärtner, Reiter, Segler und Surfer, Jazz- und Tennisbegeisterte, Jäger, Angler, Nachtschwärmer, Frühaufsteher, Kommunisten, Rote, Schwarze, Grüne, Emanzipierte und Frauenrechtlerinnen, Naturfanatiker, Umweltschützer, Opernbesessene. Die Liste ginge noch lange so weiter.

Diese Zersplitterung wird noch als kultureller Reichtum gepriesen. Doch sie ist verhängnisvoll: Ähnlich in ihrer Freizeitgestaltung, Lebensform und Gesinnung sind immer nur die Anhänger einer solchen Gruppe. Doch so ein Kreis ist klein. Außer der »Kastenzugehörigkeit« ist ja auch noch eine instiktiv-emotionale Anziehung Voraussetzung für eine gute Freundschaft.

Wenn wir nun diese zivilisatorisch hochgezüchteten Bedürfnisse, mit denen man ja auch die Afrikaner und Südamerikaner »gesegnet« und unfehlbar verdorben hat, Schritt für Schritt einschränken, wenn wir wieder aufs Land gehen, den gleichen Kohl pflanzen, die gleichen Hühner halten, die gleiche Wolle stricken, gleiche Tische zimmern - unter gleichen Situationen wieder ähnlich fühlen, dann werden unsere gemeinsamen Lebensweisen, unser Denken und Handeln wieder ähnlicher, so daß wir wieder miteinander harmonieren können. Dann werden wir auch wieder selbstloser wie Bergsteiger, die am gleichen Seil gehen, denn dann wollen wir endlich wieder dasselbe und werden einander wieder besser lieben können.

Ein weiteres Bedürfnis ist der Tätigkeitsdrang. Das sieht man an jedem Kind. Mit großer List wird dieser Drang in Kanäle geleitet, die die Erwachsenen für nutzbringend halten. Statt das Kind mit Sand und Regenwürmern spielen zu lassen, wird ihm bald ein möglichst lehrreiches Buch untergeschoben, wird ihm das Rechnen beigebracht, noch ehe es in die Schule geht. Gewiß, ein Kind lernt gern. Aber in der Schule wird dieses Verlangen in schamloser Weise mißbraucht und überstrapaziert. Beispiel aus dem Tierreich: Delphine sind überaus gelehrig und fast unfehlbar im Gelernten. Wenn man ihnen aber mehr als 50 Verhaltensweisen oder Kunststücke beibringt - gleich in welcher Zeit -, werden sie gemütskrank und sterben oft daran. Man unterbindet die spontane Wahl der Beschäftigung und zwingt die Tätigkeitsenergien in schulische Leistungsbahnen. In diesem noch so formbaren Lebensalter werden alle Anlagen im Kind zurechtgebogen und durch massiven Druck von Eltern und Lehrern, von Medien, Büchern und öffentlicher Meinung den Kindern als Hauptbeschäftigung das Einpauken von Schulwissen und das Streben nach möglichst hohen Leistungen beigebracht, als ob das Leben nichts als ein Wettlauf um Erfolg wäre. Die meisten schulentlassenen jungen Menschen sind Marionetten, die ihr Leben lang trostlos so weitertanzen, wie man sie abgerichtet hat.

Der unverdorbene Tätigkeitsdrang hingegen ist wie der unserer Vorfahren vor etlichen tausend Jahren. Und mit dem sind wir immer noch ausgestattet, solange, bis er uns ausgetrieben wird. Wie käme es sonst, daß die Kinder sich gern ein Laubdach oder eine Hütte oder ein Zelt bauen, daß sie gern Feuer machen und etwas darauf braten, daß sie auf Bäume klettern wollen und Bäche regulieren oder aufstauen, was ihnen kein Mensch beigebracht hat? Würden wir heute ein Kleinkind in den Urwald zu den Wilden stecken, so würde es die Tätigkeiten entwickeln, die dort von Natur aus angemessen sind, sicher aber nicht das Bedienen von Schreibmaschinen und Computern, das Verkaufen von Strümpfen oder Lesen und Traktorfahren.

Die zivilisierte Tätigkeit ist gefährlich. Sie wird durch Anpassung zu einem Suchtgift, so daß ihr Entzug, so schädlich die Arbeit auch gewesen sein mag, bei vielen Menschen zu Störungen führt. So kommt es zu den Sonntags-, Urlaubs- und Pensionsneurosen, woraus man fälschlicherweise schließt, dem Menschen täten all die üblichen Berufsarbeiten gut, denn er sehnt sich danach. Wenn einer nicht mehr auf den Fabrik-, Büro- oder Zugführerdienst verzichten will, weil ihm sonst die Leere überkommt, dann heißt das noch lange nicht, daß diese Dienste gut sind. Man hat dem Menschen sein natürliches, gesundes Betätigungsfeld durch die Zivilisation und das Stadtleben abgewöhnt, ihm dafür eine ungesunde, zivilisierte Arbeit aufgedrängt und darf sich nicht wundern, daß er verzagt, wenn man ihm alles wegnimmt. Wenn man einem Raucher die Zigaretten wegnimmt und er jammert, heißt das noch lange nicht, daß ihm die Zigaretten gut tun.

Schließlich haben wir noch den Erlebnisdrang und ein Verlangen nach Abwechslung. Wir möchten einmal Leute sehen, eine neue Gegend kennenlernen, verschiedene Speisen essen und freuen uns über die ständigen Veränderungen, die uns Jahres-, Tages- und Wetterablauf bieten. Die Abwechslung, die die Natur uns bietet, ist genau richtig bemessen für uns. Denn wir haben uns seit Hunderttausenden von Jahren genau an diese Abwechslung angepaßt, Körper und Geist sind darauf eingestellt. Ein Städter aber gerät auf einmal in eine Flut von Reklame, Lärm und Hektik, er erlebt in Bahnen, Autos und Flugzeugen eine Geschwindigkeit des Bilderwechsels, wie sie in der Natur nirgends vorkommt. Wir geraten in eine entsetzliche Reizüberflutung und schließlich in entsprechende Abhängigkeit, die zu immer stärkerer Reizsucht führt. Es muß ständig »etwas los sein«. So verliert der Mensch seine Ruhe und Ausgeglichenheit, weil er zu viel und nicht gerade das für ihn Richtige erlebt. Daher die Flucht in den Urlaub, ans Meer, auf die Berge, in die Wüste, in die Zelte. Und wenn man nach Wochen das Gefühl bekommt, so sollte es eigentlich weitergehen, ich mag nicht zurück in die Stadt, dann ist der erste Schritt zu einer Bewußtseinsentwicklung schon getan - nämlich zur Rückkehr aufs Land. Die Angst, auf dem Lande könnte es einem langweilig werden, ist unbegründet. Das Naturerlebnis ist sehr abwechslungsreich und tief, nur braucht es eine Weile, sich ihm wieder öffnen zu lernen.

Jeder Morgen ist ein neues Erlebnis, je nachdem, wie der Himmel aussieht, glimmend im Morgenrot oder grau von Bewölkung, dunstig oder klar, still oder voller Vogelsang, mit verhängten Bergen oder einer vielgezackten Kulisse. Dann ein strahlender Tag oder aufgetürmte Wolken, ein erschütterndes Gewitter über dampfendem Boden oder eine verträumte Ruhe voller Bienensummen. Es kommt vor, daß sich die schweren Eichelhäher krächzend von einem Baum zum anderen schwingen. Meisen und Finken turnen auf den Gesichtern der reifen Sonnenblumen. Mich erstaunt, wie die Apfelbäume und die Rosen in einem einzigen Jahr über einen Meter lange Triebe hervorbringen. Ich erlebe, wie sich der neu gepflanzte, schlaffe Salat wieder aufrichtet, wie sich die Erdbeeren röten oder wie im Herbst die Ahornblätter vergilben. Auch jedes Tun ist ein freudiges Erlebnis: Die Saat, das Umpflanzen, die Ernte, das Einlagern, Kompost austeilen und Gras mähen. Ich begegne Fröschen und Blindschleichen, Mäusen und Käfern, Schmetterlingen und Eichhörnchen. Und als mein schwarzer Kater, der mich anläßlich einer Reise vor Einsamkeit verlassen hatte, wieder einmal aufgetaucht war, da hatte ich ein Freudenfest.

Was sind dagegen die Erlebnisse in einer Stadt? Schaufenster, Restaurants, Kinos, Bars, fremde Menschenmassen, Plakate, grelle Lichter, pausenlos bewegte Fahrzeuge, gerade, graue Schluchten. Sie blenden, dröhnen und verwirren.

Plaudern, spielen und lieben können wir auf dem Lande und auch in der Stadt. Aber auf dem Lande können wir uns außerdem gemeinsam in die Sonne auf eine Wiese legen, haben Platz, uns mit Wasser anzuspritzen, können weite Spaziergänge machen, Beeren sammeln, ja sogar vielerlei Gartenarbeit zur geselligen Unterhaltung werden lassen. Und wenn wir einmal in Gemeinschaft eine Wanderung auf die Alm machen, erfüllt von Sonne, Luft und prächtigen Eindrücken und mit ein paar harzigen Latschenzweigen beladen heimkommen, uns über den selbstgemachten Erdbeersaft hermachen und ein wohliges Bad genießen, dann fragen wir uns erstaunt, wieso gibt es noch Leute, die in der Stadt bleiben?

Geht hin und vermindert euch

Wer die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, kann nur dann Erfolg haben, wenn er realistisch denkt, alle Illusionen über Bord wirft und den Problemen ins Auge sieht.
Erich Fromm

Wenn Deutschland nur 10 Millionen Einwohner hätte, dann wäre es gut, hier zu leben. Dann gäbe es keine Autoschlangen und keine Parkraumnot, dann bräuchte nicht jedes Dorf eine Bank und einen Gemeindeamts-Palast. Dann gäbe es keine Einbahnstraßen, Hochhäuser und Mietskasernen. Jeder hätte Land nach Herzenslust. Es herrschten kaum Lärm und nur gute Luft. Und in verträumten Gassen könnten wieder Bäume grünen.

Schon vor einigen Jahrzehnten hat Ortega y Gasset in seinem Buch Der Aufstand der Massen geschildert, wie sehr unsere Lebensqualität unter dem Massenvorkommen der Gattung Mensch leidet. Aber nichts geschieht, die Bevölkerungsdichte bleibt. Man will ungern auf das Vergnügen, Kinder zu haben, verzichten und außerdem wird der Kindersegen von der Kirche, vom Staat und von der Gesellschaft gefördert und bezahlt. Erich Kästner schrieb als Folge seiner traurigen Lebenserfahrungen so, »... verzichte ich darauf, Kinder zu haben und aufzuziehen, nur damit sie eines Tages totgeschossen oder zu Krüppeln werden«. Heute wäre noch zu ergänzen: Oder daß sie in Lärm, Dreck und Gift dahinsiechen und vor lauter Streß und Angst nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht, bis sie sich eines Tages umbringen. Und Erich Kästner wird man nicht vorwerfen können, er habe für Kinder nicht viel übrig gehabt. Man denke nur an seine vielen beliebten Kindergeschichten und Kinderfilme.

Kinder in diese Welt zu setzen, ist eigentlich kaum zu verantworten. Und wer sich dennoch zu Kindern entschließt, weil er die Augen vor dem Niedergang verschließt und Optimist ist, tut gut daran, sich mit nur ein oder zwei Kindern zu begnügen.

Wir haben nicht nur zu viele Geburten, sondern auch vor allem eine zu hohe Überlebensquote. Wenn möglich, wird jedes krank geborene Kind mit allen Tricks der Medizin und Technik am Leben erhalten. Dieser Eingriff in den Auslesemechanismus der Natur ist unmenschlich und folgenschwer. Dadurch wird nichts als Leid erzeugt, Leid im Einzelschicksal des oft lebenslänglich kranken Kindes, Leid der Eltern, Leid der Allgemeinheit durch die hohe Bevölkerungsdichte und zusätzlichen sozialen Belastungen, Leid durch die Degeneration, wenn sich durch weitere Fortpflanzung das kranke Erbgut verbreitet. Man sollte sich diesem Mißbrauch der medizinischen Gewaltherrschaft entziehen und seine Kinder zu Hause mit Hilfe einer Hebamme zur Welt bringen. Überlebt das Kind nicht, weil es nicht überlebensfähig ist, um so besser für das Kind, die Eltern und die Menschheit. Es kann auch vorkommen, daß Mißgeburten sich zu glücklichen Menschen entwickeln, was noch lange nicht die Vervielfältigung von Leid rechtfertigt. Sollen viele Menschen leiden, damit einer sich freut?

Wer sich dazu bekennt, keine Kinder oder nur eins haben zu wollen, der wird mit dem Umsteigen auf das Landleben leichter fertig. Allerdings, man sollte sich zusammenschließen, so daß die Kinder allerhand liebe »Tanten« und »Onkel« haben und diese wiederum ihre Freude an den Kindern. Am wichtigsten aber ist dabei, daß die Kinder durch die Gruppe andere Kinder als Spielkameraden haben und so Gemeinschaftssinn entwickeln. Das Gejammer, wer später die Rente bezahlen soll, wenn die jungen Verdiener sich verringern, ist nur ein Vorwand, denn Kinderreichtum bringt Wählerstimmen, und diese bringen den Politikern Geld und Macht.

Gesetzt den Fall, die Bevölkerung nähme jährlich um 3% ab und im Gefolge davon reduzierten sich Produktion und Höhe der Renten jährlich ebenfalls um 3%, was wäre schon dabei, wenn doch als Lohn dafür die Lebensqualität auf vielen Gebieten wächst? Durch die Bevölkerungsschrumpfung würden die Grundstücke, Häuser und Wohnungen billiger, die Mieten daher niedriger, und schon wäre die Schmälerung der Renten wieder ausgeglichen. Außerdem sind die wirtschaftlichen Schwankungen aus anderen Ursachen viel größer, so daß sich Veränderungen durch Bevölkerungsabnahme unmerklich vollziehen würden.

Gedanken zur Gesundheit

Wenn jemand Gesundheit sucht, frage erst, ob er bereit ist, künftig die Ursachen der Krankheiten zu meiden. Erst dann darfst du ihm helfen.
Sokrates

Heutzutage gilt als gesund, dessen klinischer Befund nach den Normen der Mediziner in vereinbarten Grenzen liegt. Früher galt als gesund, wer sich wohl fühlte. Nach einem Menschen, der nach altem und neuem Maßstab gesund ist, kann man lange suchen. Trotzdem überschwemmt uns fast täglich das Eigenlob der Mediziner, wie sie's so herrlich weit gebracht haben.

Hat uns zwar die Medizin von einer Menge Plagen wie Kindbettfieber, Tuberkulose, Malaria und Pocken fast befreit, so hat uns die überzivilisierte Lebensweise durch die Hintertür eine Menge Krankheiten gebracht, deren Verbreitung und Gefährlichkeit den zurückgedrängten nicht nachsteht: frühzeitiger Bandscheibenverschleiß, Haltungsschäden, Fußbeschwerden, Zahnfäule, Rheumatismus, Zuckerkrankheit, Neurosen und andere Gemütskrankheiten, Herzinfarkt, Krebs, Aids und Magengeschwüre u.a.m., alles Gebrechen, die zu Zeiten unserer Urgroßeltern selten oder nie vorkamen und auch bis heute bei den primitiven Naturvölkern fast fehlen.

Es ist sogar fraglich, ob die Zurückdrängung der oben genannten Infektionskrankheiten wirklich gut war. Die Empfänglichkeit für Tuberkulose ist erblich. Das führt zu einer Auslese, die Menschen auswählt, die gegen Tuberkulose widerstandsfähig sind. Das wäre doch wünschenswert.

Ein anderes Beispiel der Zweifelhaftigkeit moderner Methoden zur Krankheitsbekämpfung.

Das südliche Nepal hatte sumpfige Malaria-Gebiete, in denen Leute lebten, die gegen Malaria immun waren. Dann hatte man die Gegend chemisch entseucht, indem man die Anopheles-Mücke vergiftete. Die Menschen haben ihre Malaria-Resistenz verloren, neue Mücken sind aufgetreten, denen die bekannten Spritzmittel nicht viel schaden, und jetzt erkranken dort mehr Menschen an Malaria als je zuvor.

Hätte sich die Medizin nicht in das Naturgeschehen eingemischt, dann würden viele von uns nicht geboren sein. Darunter hätte niemand zu leiden. Diejenigen aber, die jetzt leben würden, wären viel gesünder und hätten ein erfreulicheres Leben.

Die Zauberer im weißen Kittel verteidigen ihre Zunft und Vorgangsweise vor allem mit zwei Argumenten: Erstens behaupten sie, die »modernen« Krankheiten seien nur Alterserscheinungen, die man früher selten erlebte, weil man gar nicht so alt geworden sei. Das aber ist eine Täuschung. Viele Jugendliche leiden bereits an Haltungsschäden, Zahnfäule, Zuckerkrankheit, Herzfehlern, Kreislaufstörungen, Schlafstörungen, Neurosen, Depressionen, ja sogar an Krebs. Bei der Musterung für den Wehrdienst werden immer mehr junge Burschen wegen körperlicher Untauglichkeit abgewiesen. Beginnt bei uns das Greisenalter mit achtzehn?

Als zweite Rechtfertigung streichen die Mediziner als ihr Verdienst heraus, die durchschnittliche Lebenserwartung auf weit über siebzig Jahre gehoben zu haben. Aber es ist kein Verdienst, sondern ein Verschulden, Leute zwar nicht gesund machen zu können, ihnen aber mitsamt ihren Krankheiten das Leben zu verlängern, so daß sie sich kränkelnd und leidend bis ins hohe Alter hinschleppen müssen. So erzeugt man mehr Leid als Freude. Die Moral der Mediziner lautet: Lebenserhaltung hat Vorrang, Leidbekämpfung kommt erst an zweiter Stelle. Darüber kann man streiten. Ich finde diese Moral pervers. Sie rührt wohl daher, weil Leben verlängern viel leichter und finanziell einträglicher ist als Krankheiten heilen. Der hippokratische Eid hat seine Berechtigung verloren, seit die medizinische Technik zu einer Lebensverlängerungs-Maschinerie ausgeartet ist.

Ich war früher nicht so gesund wie jetzt. Dabei habe ich mit Ärzten vorwiegend schlechte Erfahrungen gemacht. Verantwortungslos probieren sie an einem die verdächtigsten Medikamente aus. Oft zeigt sich, daß die Krankheiten von ganz alleine wieder verschwinden, wenn man genügend Abwehrkräfte hat. Das merkt man dann, wenn man sich eine Weile erfolglos behandeln läßt, bis einem die Geduld reißt. Dann läßt man den Körper sich selbst heilen, und nach einer Weile wird man wirklich wieder gesund, sofern man sich einigermaßen vernünftig verhält.

Nach einer Erkältung war mein Gehör auf einer Seite schlechter geworden. Die Untersuchung ergab eine Stirnhöhlenzyste. Ich sollte mich sogleich operieren lassen. Inzwischen mißtrauisch und klug geworden, tat ich das nicht. Der Schaden hat sich allmählich von selbst behoben, und jetzt nach 15 Jahren ist immer noch alles in Ordnung.

Vor 30 Jahren wollte man mir einen im Kiefer querliegenden, nicht ins Gebiß hinausgewachsenen Weisheitszahn herausoperieren, um den Nachbarzahn nicht zu gefährden. Bis heute geht es den beiden Zähnen gut.

Ich hatte einmal Gelbsucht. Ein neues Medikament wurde mir im Krankenhaus verabreicht. Daraufhin schwollen mir die Leistendrüsen an. Zur Untersuchung, ob ein Tumor vorliegt, wurde eilig, zu eilig, eine herausoperiert. Aber sie war in Ordnung und nur durch das Medikament angeschwollen. Seine Verabreichung war ein Verbrechen, die Operation ein zweites. Ich war 22 Jahre alt und wußte nicht, in wessen Hände ich mich da begeben hatte.

In der Stadt hatte ich an Darmkrämpfen zu leiden gehabt. Die Ärzte haben einiges versucht, mich aber nicht von den Bauchschmerzen befreien können. Ich magerte bei 186 cm Größe auf 62 Kilo ab. 1970 dann, nach wenigen Monaten Landleben, hörten die Störungen allmählich auf und ich erreichte 75 kg, obwohl ich harte Arbeit am Hausbau verrichtete, vielleicht auch gerade deswegen. Seither geht es mir gut. Während ich mir früher in der Stadt jährlich drei bis fünf Erkältungen holte, komme ich jetzt mit einer in zwei Jahren aus.

Ich hatte eine hartnäckige Warze am Fuß, die man mir in der chirurgischen Klinik herausschnitt. Nach drei Wochen war sie immer noch da. Ein Jahr später nahm ich ein Überhitzungsbad. Das ist ein normales Fußbad, aber mit ständig steigender Temperatur. Immer wieder kommt ein Becher kochendes Wasser hinzu. Der Fuß gewöhnt sich an die Hitze, so daß es nicht weh tut, die Temperatur allmählich zu steigern. Ich badete eine Stunde lang den Fuß, so heiß ich es vertragen konnte. Am nächsten Tag ließ sich die Warze abwischen und kam nie wieder.

Sonne, Wärme, Luft und Ruhe und die meisten Ärzte und Apotheker mußten umsatteln.

Nicht selten fragt mich einer, was ich denn täte, wenn ich krank sei, ohne Telefon und weit weg vom nächsten Nachbarn. Es könnte etwas passieren, und ich könnte keine Hilfe herbeiholen. Was für Sorgen! Als ob ein erwachsener Mensch auf die Hilfe anderer angewiesen wäre. Vor fünfzig Jahren hatte die meisten kein Telefon. Und wenn ich auf einen Berg gehe, gibt es oft drei Stunden im Umkreis kein Haus und keinen Menschen. Soll ich deshalb auf die Freuden an Wanderungen in der unberührten Natur verzichten?

Was täte ich also, wenn ich schwer krank würde? Ich ließe die Heilkräfte meines Körpers und meine Instinkte so lange walten, bis ich wieder gesund wäre. Wäre meine Krankheit aber allzu schwer, dann könnte ich daran zugrunde gehen, und das kann mir sogar bei einer leichten Krankheit mit ärztlicher Hilfe widerfahren.

Wenn mir bei sonstiger innerer Gesundheit eine Verletzung, ein Unfall zustieße, dann ginge ich die sechshundert Meter zum nächsten Haus und bäte um Verständigung eines Arztes, damit man mich verbindet. Wäre ich aber so schwer verunglückt, daß ich nicht einmal bis zum nächsten Haus käme, allein aber auch nicht überleben könnte, dann hätte ich ganz einfach Pech gehabt, wie wenn ich an einer Fischgräte erstickte oder ein Erdbeben mein Haus umwirft und mich die Trümmer begraben oder wie wenn mich der Blitz trifft. Indessen käme ich auf solche Gedanken alleine gar nicht, nur andere bringen mich darauf. Wohl aber denke ich beim Autofahren manchmal, jetzt hätte mich der Schuft um ein Haar gestreift oder gerammt.

Ich fühle mich in meiner Landidylle sicher, gesund und kaum gefährdet. Und gewiß trägt zu meiner Gesundheit auch die Einstellung bei, daß ich mit aller Entschiedenheit nicht krank werden will. Daher lebe ich sehr vorsichtig und verantwortungsbewußt, was leicht als Schwunglosigkeit ausgelegt wird. Vorsicht und Angst sind zwei verschiedene Dinge. Ich bin vorsichtig und befreie mich dadurch von der Angst. Die Leute, die mich fragen, ob ich keine Angst in meiner ländlichen Abgeschiedenheit hätte, sind selber Angst gewöhnt und wundern sich daher, wenn ein anderer keine hat. Die Angst wollen sie mit Telefon und Nachbarschaftshilfe besänftigen. Ob ihnen das gelingt?

Was die meisten Leute krank macht, wenn wir von der Degenerierung ganz absehen, sind hauptsächlich schädliche Stoffe und Gemütsstörungen. Letztere sind gefährlicher.

Daß ich Medikamente, Drogen, Spritzmittel im Garten und die meiste Chemie wegen der Gesundheitsgefährdung ablehne, liegt zum Teil daran, daß ich Chemiker war. Ich bin mir von meiner Arbeit her bewußt, daß wir über die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Chemikalie viel zu wenig wissen, als daß wir es in den meisten Fällen verantworten können, Chemikalien einzunehmen oder aufs Land zu bringen. Was wir über die Folgen von Chemikalien im Körper wissen, ist viel weniger als was wir darüber nicht wissen. Meiner Schätzung nach sind von den vielleicht 6000 Präparaten einer Apotheke nur 100 empfehlenswert. Meine Haus- und Reiseapotheke besteht aus einem Fieberthermometer, aus Pflaster, Mullbinde und Kohletabletten.

Was durch chemische, ärztlich verordnete oder auch nicht verordnete Medikamente der Gesundheit geschadet wird, ist ungeheuer. Zweifellos ist der Schaden allein durch Schlafmittel größer als der durch Haschisch, berücksichtigt man den Riesenverbrauch von Schlafmitteln.

Lassen wir uns nicht in Sicherheit wiegen in dem Glauben, der Staat passe schon auf, er hat ein Gesundheitsministerium und viele Fachleute. Schach dem Herztod, Schach dem Krebs, tönt es uns entgegen. Wann dürfen wir mit den Parolen Schach dem Kreuzweh, Schach der Zuckerkrankheit und Schach dem Rheuma rechnen? Damit soll der Bürger beruhigt und in Gleichgültigkeit eingelullt werden. Er soll sehen, wie rührend sich Obrigkeit und Medien um seine Gesundheit sorgen. Aber den Staat interessiert unsere Gesundheit nur so weit, wie sie Wählerstimmen einbringt und Arbeitslosenziffern senkt. Kein Arzt der Welt wird bezweifeln, daß das Tabakrauchen den Menschen mehr schadet als beispielsweise geringer Haschischverbrauch. Am Tabak verdient der Staat, am Haschisch nicht. Wäre es umgekehrt, würden die Zigarettenhändler ins Gefängnis gesteckt und Haschisch wäre ein auf Plakaten umworbenes Staatsmonopol.

Wenn also der Staat Medikamente, Spritzmittel usw. zuläßt, so sagt das über deren Ungefährlichkeit nichts. Er gibt das ja schon dadurch selber zu, daß kaum ein Jahr vergeht, wo nicht Mittel - meistens wegen Krebsgefahr - verboten werden, welche vorher zugelassen waren. Gehen wir ruhig davon aus, daß Staat und Geschäftemacher in ihrer Skrupellosigkeit sozusagen miteinander wetteifern. Denken wir an Contergan, an das Unglück von Seveso und Tschernobyl. Wir müssen uns unserer eigenen Verantwortung besinnen, die von uns verlangt: Finger weg von chemischen Medikamenten, Drogen und dergleichen.

Ich rauche nie, nehme keine Medikamente, Drogen und begehe als einzige Sünde in dieser Richtung, daß ich ab und zu etwas Wein oder Likör genieße. Dabei bin ich gesund und fühle mich pudelwohl, was ich vor 15 Jahren keineswegs von mir hätte behaupten können. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es so schwer sein sollte für jemand, der sich aufs Land zurückzieht, Suchtgewohnheiten zu entsagen und ein natürliches Leben zu führen.

Viele Jugendliche sind rauschgiftsüchtig - die Alkoholsüchtigen nicht mitgerechnet. Sehr viele von ihnen sind »verzögerte« Selbstmörder. Sie sagen, umbringen kann ich mich immer noch. Auf das Leben pfeife ich zwar, aber bis zu einem baldigen Ende will ich wenigstens noch recht oft meine »himmlischen Räusche« genießen. Diese Lebensüberdrüssigen glauben nicht daran, daß sie sich ein freudenreiches, zufriedenes Leben einrichten könnten.

Und wirklich, es ist schwer genug! Die Eltern, Schulen und die herrschende Gesellschaft haben ihnen die Zuversicht genommen. Mir ist es als Schüler ebenso ergangen. Jeder Affe erzieht sein Kind zu Lebensfreude und vergnüglichem Dasein. Er turnt und spielt mit ihm, füttert, beturtelt und liebt es. Er macht mit ihm Ausflüge in die Baumwipfel und kühne Sprünge durch die Luft und zeigt ihm, wie herrlich die Welt ist. Viele Menschen sind so tief unter die Affen gesunken, daß sie glauben, dies alles ließe sich ersetzen durch Taschengeld, Fernsehen oder Schläge. Die Rauschgiftsüchtigen waren alle zuvor gemütskrank und unglücklich gemacht worden. Dadurch erst erwacht das Verlangen nach neuen Freuden, die sie sich vom Rauschgift oder Alkohol erwarten. Was unsere Gesundheit noch mehr bedroht als alle Chemikalien, das ist die Zerstörung von Nerven und Gemüt. Erst werden wir unglücklich, dann krank.

Würden wir ernst machen mit Parolen wie Schach dem Fortschritt, der Hetze, der Angst, dem Stadtleben, der Unfreiheit, der Geltungssucht, dem Machtrausch, der Verschwendung und der Prasserei, dann würden Herztod und Krebs von selber verschwinden. Unsere Altenheime, Vorsorgeuntersuchungen und das Heer der Ärzte wären zu drei Vierteln überflüssig, wenn wir gesund leben würden, daß heißt, wenn wir uns dem Gedränge, der Hetze, dem Streß, also der Stadt und dem Beruf, entziehen und stattdessen geruhsam auf dem Land leben. Wir brauchen nicht einmal Safttage und Fitnessmärsche. Nötig ist vielmehr tägliche und reichliche Bewegung in frischer Luft, normale Mengen natürlicher Kost - und schlank bleiben! Dann braucht man sich um Verbote und Gebote keine Sorgen zu machen.

Daß trotzdem noch Krankheiten auf dem Land auftreten, zeigt, daß das Landleben allein noch kein Allheilmittel ist. Krankmachen kann man sich überall. Auf dem Lande herrschen viele krankmachende Unsitten. Wenn man mit Brotresten zwischen den Zähnen schlafen geht, darf man sich nicht wundern, daß die Zähne faulen. Man ißt zu viel Fleisch und Fett, aber zu wenig Obst, Gemüse und Rohkost. Dennoch gibt es nirgends so viele »Gesundheitsangebote« wie auf dem Land. Naturreine Kost, nämlich selbstangebaute - Geruhsamkeit, Freiheit, abwechslungsreiche Tätigkeit, Freude an der unkomplizierten, naturnahen Arbeit, reine Luft und Stille. Wer auf dem Lande krank wird, ohne alt zu sein, ist meistens selbst daran schuld. Der Städter aber wird zwangsläufig in die Krankheit getrieben.

Hüten wir uns davor, gewisse Unsitten aus der Stadt aufs Land einzuschleppen. In meiner frühen Kindheit hatten die Geschäfte um 7 Uhr geöffnet, später um 8 Uhr, und heute machen sehr viele erst um 9 Uhr auf. Warum? Weil man zu spät schlafen geht. Bewegungsmangel im Beruf, also das Ausbleiben körperlicher Ermüdung, dann Kinobesuch, Radio, Fernsehen, Bars, Diskotheken, Stimmungs-Restaurants und sonstige Abendunterhaltungen, die sich früher nur ganz wenige leisten konnten, halten heute die meisten Leute bis spät in die Nacht wach. Der späte Schlaf ist leichter und unruhiger als der frühe. Vor zwanzig Jahren schlief man früher und besser. Wenn man nicht das Land zur Stadt und die Nacht zum Tag machen will, so bringt das einfache Landleben diesen gestörten Rhythmus schon nach wenigen Tagen in Ordnung, so wie eine Zeltreise oder eine mehrtägige Bergtour. Durch Anstrengung und viel frische Luft ist man um sieben Uhr abends schon so wohlig müde, daß man zu keinen Unternehmungen mehr Lust hat und früh schlafen geht, es sei denn, daß man die Müdigkeit gewaltsam durch Kaffee oder geistige Anregung vertreibt, um ja jede Abendstunde auszukosten und - wie man meint - nichts zu versäumen.

Gut ausgeschlafen zu sein, zählt zu den unerläßlichen Voraussetzungen des Wohlbefindens. Und oft reicht die gute Stimmung nach einer herrlichen Ruhe schon aus, um am bloßen Dasein Freude zu haben. Wer freudig lebt, wird selten krank.

Keine Angst vor Schmutz

Ich scheue mich nicht, Schmutz auf meinem eigenen Teppich zu lassen... Was immer meine eigenen Fehler sein mögen, hier innerhalb meiner vier Wände kümmern sie nur mich.
Prentice Mulford

Ist es nicht verwunderlich, daß die meisten kleinen Kinder keine Scheu vor Schmutz haben? Gut, Reinlichkeit kann sich entwickeln. Aber wahrscheinlich gibt es eine natürliche Reinlichkeit, wie wir sie auch bei Tieren finden, die ihr Nest oder ihren Bau sauber halten, und eine übertriebene, anerzogene, zivilisierte Reinlichkeit.

Die reinlichste Person, die ich je kennengelernt habe, war eine Dame von 66 Jahren, die ein paar Tage bei mir zu Besuch war und in der sich Arbeitsfanatismus und Reinlichkeit zu überbieten schienen. Bald nach ihrer Ankunft entdeckte sie, daß es in meinem Haus an Putzmitteln und Kratzschwämmen fehlte, nahm sich einen Rucksack und marschierte zum nächsten Kaufmann, um ein ganzes Sortiment solcher Schmutzfresser einzukaufen. Von früh bis spät hat sie die Böden und Stiegen geputzt, Teppiche gesaugt, Fenster poliert und Herd und Töpfe geschabt, daß mir schon angst und bange wurde. Höchstens ausnahmsweise las sie ein Stündchen. Diese energiegeladene Frau war so putzbesessen, daß mir der Gedanke kam, ob nicht der meiste Verschleiß weniger vom Gebrauch der Gegenstände als mehr von ihrer Reinigung herrührt. Teller werden nicht beim Essen zerbrochen, sondern beim Spülen. Teppichen macht der Schmutz wenig. Erst das Staubsaugen ruiniert sie. Trübe Fenster sind stimmungsvoll und schön. Sie zerbrechen am ehesten beim Putzen oder wenn der Besenstiel dagegen fällt. Wäsche wird viel weniger vom Tragen als vom Waschen aufgebraucht. Strahlendes Weiß ist Verschwendung. Bügeln überhitzt die Fasern. Ungebügelte Wäsche hält länger und sieht häuslicher und natürlicher aus. - Die arme Frau tobte sich bei mir aus, als hätte sie endlich das richtige Opfer gefunden. Sie kannte keine Rast und außer dem Essen anscheinend keinen Genuß. Ich glaube, sie war noch nie in ihrem Leben glücklich.

Eine andere Frau kenne ich, die als Grund für ihren täglichen Unterwäsche-Wechsel angibt, man soll sie im Spital, falls ihr etwas zustieße, auch für reinlich halten. Die Arme lebt also andauernd in der Angst, zu verunglücken und in der Sorge um ihre Würde als reinliche Person. »Was werden die Leute von mir denken?« Kein Wunder, daß sie nervös ist, ständig zwinkert und Schlaftabletten schluckt.

Man bringt Reinlichkeit oft mit Schönheit und Gesundheit in Verbindung. Aber die reinlichsten und gepflegtesten Gärten und Häuser sind die langweiligsten und stimmungslosesten. Schön sind scheckige Gemäuer, verwilderte, blumenstrotzende Gärten, Ruinen und knarrende Hütten. Zwar heißt es oft: Romantisch anzuschauen, aber wohnen möchte ich da nicht. Aber warum nicht? Weil uns die Überreinlichkeit und Überordnung als geltende Norm anerzogen und damit die natürliche Einstellung zum ganz normalen Schmutz, zur naturgegebenen Unordnung versperrt wurde.

Die reinlichsten Leute sind oft am anfälligsten für Krankheiten. Aus meiner Kindheit weiß ich noch von einem mir sehr nahestehenden Mann, der auswärts nie eine Tür am Klosett ohne ein Papier anfaßte. Er wischte Trinkgläser und Besteck mit der Serviette nach, lehnte sich nie mit dem Kopf an die Kopfstütze in der Eisenbahn und war ganz verstört, wenn seine Hose einen Fleck oder ein Teller oder Besteck eine kleine Kruste hatten. Gerade er hatte mehr chronische Erkältungen, Durchfälle und andere Wehwehchen als die ganze Familie zusammen.

Die Wurzel der zivilisatorischen Reinlichkeit, die über die natürliche weit hinaus geht, liegt im Prestigedenken, man kann auch sagen, in der Großmannssucht. Reinlichkeit - leicht hergestellt, wenn man Dienstpersonal hat und dadurch wenig Arbeit - war einst das Privileg der Vornehmen. Die Bürger machten die Reinlichkeit nach, um vornehm zu wirken.

Auch ich bin - so wie wir alle - dank Eltern, Lehrern und Industriereklame zur Reinlichkeit erzogen worden. Nur habe ich gelernt, daß sie unnatürlich, verschwenderisch und teilweise ungesund sein kann. Auf dem Land gelingt es einem leichter, sich teilweise den anerzogenen Unfug wieder abzugewöhnen. Denn wir greifen endlich wieder mit beiden Händen die Gegenstände der Natur an, die Pflanzen und die Erde, die Katzen und die Hunde, Euter und Früchte, wir greifen zur Axt und zur Schaufel, gehen manchmal barfuß und gewöhnen uns allmählich wieder an das, was man uns vermiest hat, an den sogenannten Schmutz. Langsam erwacht dann in uns ein längst verschüttetes Gefühl, wenn wir uns daran erinnern, wie wir als Kinder barfuß und genüßlich im schwarzen Schlamm, der wohlig kühl zwischen den Zehen hervorquoll, umhergetreten sind.

Gefahren von Stadt und Land

Schätzt Sorgen nach ihrem wahren Wert, das heißt, gar nicht und werft sie ab.
Prentice Mulford

So sehr ist die Naturentfremdung vieler Menschen schon fortgeschritten, daß sie die Gefahren von Stadt und Land völlig fehleinschätzen. Der ganze Zivilisationsapparat in der Stadt, wie Telefon, Krankenwagen, Spitäler, Ärzte, Verkehrsregeln, Ampeln, Polizei, Versicherungen, Gerichte und Regierungen, sie führen dazu, daß sich die Leute dort, wo es am gefährlichsten ist, in Sicherheit wiegen, weil sie ja »beschützt« werden, während sie die »unbekannte« Natur fürchten.

Da traut sich jemand nicht, ins struppige Gras meines Gartens zu treten. Man könnte ja auf eine Kreuzotter steigen. Oder man wagt nicht, sich auf die sommertrockene Wiese zu setzen. Davon kriegt man Schnupfen. Man traut sich nicht, in den kalten Bach zu steigen, davon kriegt man Rheuma, traut sich auf keinen Berg, da könnte man herunterfallen, nicht in den nächtlichen Wald, dort wartet der Lustmörder oder Räuber. Aber diese warten in London oder Frankfurt oder Wien. Im Wald könnten sie lange warten, bis sie ein Opfer fängen. Kreuzottern sind so selten, daß sie unter Naturschutz stehen. Außerdem sind sie äußerst scheu. Rheuma kriegt man viel eher in einem überheizten Büro oder auf einem Ball mit zu dünner Kleidung als auf einer Sommerwiese. Daß man vom kalten Bad keinen Schnupfen kriegt, weil man nämlich rechtzeitig wieder heraussteigt, und daß man vom Berg nicht herunterfällt, dafür sorgen unsere Instinkte.

Wer in der Natur lebt, wird spüren, wie in ihm Instinkte erwachen, die nicht zerstört, sondern nur stillgelegt waren. Aber keine ausreichenden Instinkte besitzen wir gegen die Gefahren einer widernatürlichen Lebensweise, wie sie beim Autofahren, Skisport, wie er heute betrieben wird, beim Aufenthalt in Büros und Fabriken und im Streß auftreten. Dort holen wir uns Krankheiten und Unfälle. Sonderbarerweise haben davor die Ängstlichen weniger Angst. Oder vielleicht haben sie Angst ohne es zu wissen. Die Angst ist verdrängt, und so macht sie nicht genügend wachsam, um der Gefahr auszuweichen.

Die großen Bedrohungen

Das Paradies pflegt sich erst dann als Paradies zu erkennen zu geben, wenn wir aus ihm vertrieben sind!
Hermann Hesse

Dennoch sind wir bedroht wie keine Generation je zuvor. In ihrer Existenz bedroht sind nicht nur unsere Kinder, sondern wir sind es schon selber. Wenn etwa Konrad Lorenz Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit schildert, so handeln wir im Hinblick auf unser eigenes Wohlergehen unverantwortlich, wenn wir derlei wie einen utopischen Roman betrachten, das Buch weglegen und zur gewohnten Tagesordnung übergehen, als wäre das Unheil noch in weiter Ferne. Es kommt nämlich nicht mit Pauken und Trompeten, sondern es schleicht sich unbemerkt ein, wie etwa die Degeneration, und durchsetzt uns bereits jetzt.

Die Atomkraftwerke sind vergleichsweise das meist beachtete, aber auch vordergründigste Übel und am leichtesten zu beseitigen. Sie liegen in Händen weniger Mächtiger. Und wenn die paar Mächtigsten so weit kämen, Kernkraftwerke und Raketen unschädlich zu machen, wären wir dieses Damoklesschwert los, an das wir uns fast schon gewöhnt haben.

Da sind aber noch vier andere besonders schwere Bedrohungen, die von Millionen ausgehen. Wie sollen wir diesen entgehen?

Die zweite Gefahr ist der Hunger, obwohl wir noch im Überfluß leben. Aber wir ziehen diesen noch vorhandenen Überfluß aus einem »aufgeputschten«, vielerorts kranken Boden und erleben in Amerika, wie dort riesige Gebiete unfruchtbar werden, so ähnlich wie es unsere Vorfahren mit der einst üppigen Sahara und den Gebirgen Italiens und Jugoslawiens ergangen ist. Wir zerstören Humus, regulieren Flüsse und Bäche, holzen ihre Uferflora ab, senken den Grundwasserspiegel, zerstören Waldhänge durch Forststraßen und Liftanlagen und kompensieren den Flächenausfall, indem wir auf immer weniger Ackerfläche mit immer widernatürlicheren Mitteln immer mehr produzieren. Drittens bedroht uns immer mehr die Degeneration. Von der Übervölkerung als vierter Gefahr war im Kapitel »Geht hin und mindert euch« die Rede. Sieht man von der Atomkraft ab, so können wir uns den schwersten Bedrohungen am besten durch einen vernünftigen Lebensstil und die Rückkehr aufs Land entziehen.

Bildung, Kultur und Schöpfergeist

Die Schule ist die einzige Kulturfrage, die ich ernst nehme und die mich gelegentlich aufregt. An mir hat die Schule viel kaputt gemacht.
Hermann Hesse

Kultur, Zivilisation, Fortschritt, Aufstieg, Karriere, Geld, Prestige und Leistung sind eng miteinander verflochten und für die meisten Menschen unserer Kultur das Ziel ihrer größten Bemühungen. Wir sind durch Erziehung und Beeinflussung süchtig gemacht worden nach all diesen geistigen Rauschgiften. Ich möchte diese staatlich geförderte Massenpsychose den Fortschrittswahn oder Aufstiegswahn nennen und habe den Eindruck, daß dies die verbreitetste Geisteskrankheit unserer Tage ist, ja vielleicht sogar die Wurzel der meisten anderen Geistes- und Körperkrankheiten und daß der Fortschrittswahn das bezeichnendste Merkmal unserer bestehenden Gesellschaft ist.

Das Besitzstreben des Menschen, ursprünglich auf Nahrung, Territorium und Partner gerichtet, das Geltungsbedürfnis und Imponiergehabe, ursprünglich der Partnerwerbung sowie Abschreckung von Feinden und Rivalen dienend, sind angeborene und zweckmäßige Triebe.

Im Verlauf der Zivilisation haben sich Ziele und Objekte für das menschliche Besitzstreben unendlich vermehrt. Man will tausenderlei Dinge erwerben und besitzen, was zu einer ungesunden Übersteigerung des Besitzstrebens mit einer ganzen Reihe übler Nebenwirkungen führte, wie sozialen Verwicklungen, Kriegen und allerlei menschlichen Konflikten.

Nicht anders steht es da mit dem Geltungsbedürfnis. Während der Mensch von Natur aus nur dazu angelegt ist, durch Statur, Schönheit, Kraft, Geschick, allenfalls durch Stimme und Bewegung zu imponieren, so steigert der Zivilisierte seine Geltung ins Vielfache durch Prestigeobjekte und Titel, Positionen und Herrschaft, Machtanspruch und Streben nach öffentlicher Anerkennung. Konnte er früher nur zwanzig oder dreißig Menschen imponieren, so beeindruckt er durch die Medien heute Millionen.

Besessenheit nach Besitz und Geltung, also Habgier und Ehrgeiz sind die Gifte, die zum Fortschrittswahn führen. Wenn auch beide Antriebe innerhalb der sehr engen natürlichen Grenzen gut sind, so sind sie doch im heutigen Übermaß höchst verderblich. Schwimmen ist gesund und vergnüglich. Übertriebenes Leistungsschwimmen ist verheerend. Das gilt für die meisten Sportarten. Sie führen, wie alle Übertreibungen, zu Herzschäden und früher Alterung und quälen die meisten. Denn die wenigsten werden Sieger. Schwere Enttäuschungen und Konflikte sind die Folge. Ähnlich geht es uns mit der ganzen Kultur. Wissen und Können ist Macht und damit nützlich. Der Wettlauf um Wissen, Können und Macht ist so blindwütig und rücksichtslos, daß alle errungenen Vorteile weit hinter den erlittenen Nachteilen zurückbleiben. Dabei ist Maßhalten dann fast nicht mehr möglich. Unser System verlangt alles oder nichts. Ein halbes Studium zählt nichts. Eine Arbeit für drei Tage in der Woche bekommt man schwer. Man muß sich schon mit Haut und Haaren dem Erfolgswettrennen verschreiben oder sich zurückziehen.

Vom Nutzen und Schaden einmal abgesehen, machen Wissenschaft, Kunst und sonstige Arten der Kultur selbstverständlich auch Freude. Aber diese Freuden werden erst gesucht, seit die ursprüngliche, freudige, natürliche Lebensart abhanden gekommen ist. Jedes Kind würde blindlings und zielsicher in die naturfrühe Lebensart hineinsteuern, wenn es nicht »zivilisiert« würde.

Mich hat zu Beginn meiner monatelangen Vagabundenfahrten sehr gewundert, daß mir vom ersten Tag an nie Musik, Radio, ein Buch oder die Zeitung fehlten, woran ich zu Hause doch gewöhnt war. Die Natur und die Abwechslung der Wanderschaft machen so froh, daß man die kulturellen Freudenspender gar nicht vermißt. Unser menschliches Wohlbefinden entspringt ja nicht aus dem Konsum der Errungenschaften wie Theater, Musik, Museen, Büchern, Sport, auch wenn man sie sicherlich genießen kann, sondern Wohlbefinden entsteht aus der dauerhaften Grundstimmung eines Lebens, auf das wir von unserer Anlage her eingerichtet sind. Denn zu der Zeit, als diese Erbanlagen entstanden, gab es noch gar kein anderes Leben für den Menschen, allerdings noch die besondere Form des Nomadendaseins. Wer glaubt, unser Erbgut hätte sich mittlerweile an andere Lebensformen angepaßt, hat eine völlig falsche Vorstellung von den großen Zeiträumen, innerhalb derer sich Erbänderungen vollziehen. Sind wir doch sogar heute noch mit reichlichem Erbe unserer tierischen Vorfahren belastet.

Wer Kultur schafft, wird meistens selber nicht glücklich, und wer sie genießt, würde sie kaum brauchen und mehr Freude haben, wenn er natürlich und gesund leben würde. Es ist meine persönliche Meinung, aber ich sehe in einem Haufen wohlgespaltenem Brennholz mehr als in einem kunstvollen Silberanhänger, mir ist ein Blumenstrauß mehr wert als ein Buch, und ein nettes, selbstgenähtes Kleid gefällt mir oft besser als ein Gemälde.

Abgesehen davon, daß es uns immer schlechter gehen wird, wenn kein Mädel und kein Bursche mehr Hammer und Axt, Besen und Kochlöffel, Nadel und Säge in die Hand nehmen, sondern statt dessen Konzerte besuchen, erstaunliche Gespräche über Freud und Adler oder über Nestroy und sein Verhältnis zur Operette führen, abgesehen vom Verlust unserer Ausgeglichenheit, Ruhe , Gesundheit und Zufriedenheit und Schwächung unserer materiellen Existenzbasis, ist Bildung unter Umständen eine große Geldverschwendung.

Zum zweifelhaften Wert der Bildung kommt noch dazu, daß der Lernerfolg in der Schule jämmerlich ist im Vergleich zum riesigen Aufwand an Zeit, Mühsal und Quälerei. Beispielsweise wurde ich acht Jahre mit Englisch, Latein und Französisch geplagt. Die einzige Fremdsprache, die ich brauchbar sprechen kann, ist italienisch. Das habe ich vor meiner ersten Italienreise in einem Sechswochenkurs ohne Benotung gelernt.

Außer einer Unmenge Wissensballast, den ich größtenteils wieder vergessen habe, lernte ich vor allem Haß und Angst in der Schule. Hingegen gab es lebensnotwendige Dinge dort nicht zu lernen. Schulunterricht ist ein brutaler, meist unnatürlicher Gewaltakt und nur möglich, weil Kinder schwach sind.

Das Schrecklichste aber, was die Schulen - mit kräftiger Unterstützung der meisten Eltern - anrichten, ist Verbildung der natürlichen Verhaltensweisen: Man lernt Eile, Leistungsgier, Strebertum, »Radfahrerei«, Buckeln und Schwindeln, Wetteifern und Prahlen. Die meisten Menschen wären viel besser, wenn die Schule sie nicht geschädigt hätte. Schulen sind Verkrüppelungsanstalten.

Dennoch brauchen wir Schulen, andere, kurze, freie, um rechnen, lesen und schreiben und mit diesem Rüstzeug uns wehren zu lernen. Zwei Jahre genügen. Wer mehr lernen will, kann sich selbst durch Kurse und Bücher weiterbilden.

Die heile Welt

Ich habe auf Elektrizität verzichtet und heize selber Herd und Ofen. Abends zünde ich die alten Lampen an. Ich hacke das Holz und koche das Essen. Diese einfachen Dinge machen den Menschen einfach; doch wie schwer ist es, einfach zu sein!
C.G. Jung

Die »gute alte Zeit« oder die »heile Welt« ist in den letzten Jahren nicht ohne Grund so stark ins Gespräch gekommen. Weil man nämlich mit der kranken Welt von heute äußerst unzufrieden ist. Die heile Welt gibt es nicht und hat es nicht gegeben, sagen die, die unsere Modernität rechtfertigen wollen und die, die sich vor der Verpflichtung drücken wollen, Mißstände abzuschaffen. Es ist bequem zu sagen, früher war es auch schon schlecht. Sie sagen, man hat zu allen Epochen die frühere Zeit als eine bessere angesehen. Aber das beweist nicht die Unrichtigkeit jener Ansicht, die von früherer besserer Welt spricht. Im Gegenteil, es spricht dafür, daß die älteren Zeiten tatsächlich jeweils besser waren als die jüngeren, von gewissen Schwankungen abgesehen, wo es vorübergehend auch umgekehrt war. Das Lebensglück der Menschen ist seit Tausenden von Jahren fortlaufend geringer geworden.

Bei der Bewertung der Lebensqualitiät werden oft Dinge als Maßstab herangezogen, die nicht wichtig sind. Man streicht als Nachteil der alten Zeit heraus, daß man das Wasser vom Dorfbrunnen heranschleppen mußte, ein Plumpsklosett hatte, mit Holz heizen und zu Fuß gehen mußte. Damals mußte man mit der Schaufel Schnee schaufeln und bei Kerzen- oder Petroleumlicht die Abende verbringen. Man hatte keine Zeitung, keinen Kühlschrank, kein Radio und keinen Fernseher. Viele starben an Tuberkulose, Kindbettfieber oder Cholera.

Alle diese vermeintlichen Nachteile lassen sich auch anders bewerten: Der Dorfbrunnen förderte den sozialen Kontakt, das Wassertragen war eine gesunde Bewegung, das Plumpsklosett erübrigte die Kanalisation und damit die Gewässerverschmutzung, mit Holz heizte es sich besonders gemütlich und es gab keine Versorgungsschwierigkeiten und fast keine Luftverschmutzung. Zu Fuß gehen ist das gesündeste, was man machen kann, und außerdem sind dabei Geist und Gemüt in einer wohltuenden Gelöstheit und gleichzeitigen lockeren Bewegung, wie das beim Fahren unmöglich ist. Schnee schaufeln hilft, Erkältungen vorzubeugen, Kerzenlicht ist stimmungsvoll, verführt aber nicht zum allzu späten Schlafengehen. Zeitungen sind sowieso meistens ärgerlich, Radio und Fernsehen stören die menschlichen Kontakte und führen zu Passivität. Und ob man an Tuberkulose, Kindbettfieber oder Cholera stirbt oder an Herzinfarkt, Krebs oder Leberschrumpfung oder am Autounfall, das ist eigentlich egal.

Nun habe ich schon öfter darauf hingewiesen, wie viel glücklicher und zufriedener die Primitiven und Rückständigen leben als wir Hochzivilisierte, und zwar trotz ihrer Armut, sofern sie nicht etwa hungern oder frieren. Und wenn wir noch weiter zurückgehen in der Zeitrechnung, dann kommen wir in Lebenszeiten, wo niemand gehungert oder gefroren hat, weil vor der Städtebildung Land und Holz im Überfluß vorhanden waren.

Zufriedenheit stellt sich ein, wenn man kaum Sorgen hat und seine materiellen, ideellen und sozialen Verhältnisse als wohltuend empfindet, so daß man sich zu keinerlei Änderungen gedrängt fühlt.

Hand aufs Herz, wer kann mir heute einen solchen Menschen zeigen? Doch zweifle ich nicht daran, daß vor zweitausend Jahren in Mitteleuropa und vor vielleicht fünftausend Jahren auf der ganzen Welt die allermeisten Leute in diesem Sinn zufrieden waren. Wir brauchen nicht einmal so weit zurück zu gehen. Denken wir nur an die Behaglichkeit, die die Märchenillustrationen von Ludwig Richter vorführen, an die zahllosen vergnüglichen Szenen, die Bruegel gemalt hat, wie da die Leute Schlittschuh laufen, allerlei Spiele miteinander treiben - Kinder wie Erwachsene - und Feste feiern, Ernte einbringen, tanzen und schmausen, wie sie im Schatten der Bäume ruhen, immer gesellig sind und sich ganz offensichtlich wohl fühlen. Die Leute waren froh, und keine von all den technischen Errungenschaften, auf die wir heute nicht verzichten zu können glauben, ist ihnen abgegangen. Man war auf das Einfache und Nächste beschränkt, so daß Zeit und Lust für familiäre und nachbarliche Kontakte genug da waren und aus diesem Verkehr ein großer Strom von Freude und Lebensglück entsprang. Das, wovor man sich fürchtete, waren Krankheit, Feuer und Krieg. Wir erkennen, daß es die vollkommene Welt zwar nicht, wohl aber die heile, gesunde, geborgene gab, in der man sehr gerne lebte, und daß es sich lohnt, sie wieder zu errichten.

Freiheit durch Arbeit und Muße

Der Schlüssel zur Freiheit liegt in uns selbst, aber wir versäumen es, ihn zu gebrauchen. Wir warten immer darauf, daß ein anderer uns die Tür öffne und das Licht einströmen lasse
Krishnamurti

Die hier gemeinte Freiheit ist ein weit verbreiteter Wunsch. Wann immer ich mich darüber unterhalte, von den meisten Gesprächspartnern höre ich bald mit resigniertem Unterton: »Das möchte doch jeder.« In Wahrheit stellt sich aber heraus, daß es dreierlei Menschen gibt:

  • Solche, die diese Freiheit ersehnen, ohne sich im geringsten um sie zu bemühen, weil sie sie, außer durch das große Los, nicht für erreichbar halten. Das ist die breite Masse der Normalverdiener.

  • Zweitens gibt es diejenigen, die sehr hohe Verbrauchsansprüche stellen und diese nicht um der Freiheit willen aufgeben wollen; das sind wohlhabende Geschäftsleute, Freiberufler, Künstler und dergleichen.

  • Und drittens gibt es Leute, die diese Freiheit gar nicht erstrebenswert finden. Von den ganz wenigen, die wie ich diese Freiheit genießen, will ich nicht reden.

Die beachtliche Gruppe derer, die die Freiheit gar nicht anstreben, besteht aus ehrgeizigen Menschen, die auf Erfolg und Anerkennung, womit ihre Arbeit belohnt wird, nicht verzichten wollen, die von Kindheit an so sehr an unsere leistungsorientierte Lebensweise gewöhnt sind, daß sie diese einfach für notwendig und gut ansehen und nicht wagen, sie auch nur in Zweifel zu ziehen. Wie sehr diese Menschen, die ihre Einstellung für ganz normal halten und glauben, wer nicht ebenso lebe, sei zu dumm oder ungeschickt, ihr Lebensglück unnötigerweise beschneiden, ist mir in Nepal deutlich geworden, wo ich monatelang unter Einheimischen gelebt habe und von wo auch meine Ehefrau herstammt .

Dort herrscht zwar wegen Faulheit und gefährlicher Überbevölkerung (600 Einwohner/km2 kultivierbaren Landes gegenüber 247 in der BRD) ein niedriger Lebensstandard. Eine regelrechte Not aber wie in den Millionenstädten Indiens und in afrikanischen Dürregebieten gibt es in Nepal nicht. Fast jede Familie hat ihr Eigenheim, nämlich eine Lehmhütte mit Strohdach und einen halben bis einen Hektar Land, sich daraus zu ernähren. Ansonsten lebt man nach westlichen Begriffen in Armut. Wer jederzeit genügend zu essen und anzuziehen hat und sich womöglich auch noch Schuhe leisten kann, was nach winterlichen Nachtfrösten eine große Annehmlichkeit ist, gilt entschieden als reich, auch wenn sein Verbrauch für den Lebensunterhalt weit unter dem liegt, was wir als Existenzminimum ansehen und was unsere Sozialhilfe-Empfänger bekommen.

Nun gibt es auch in diesem arbeitsscheuen Volk so strebsame und ehrgeizige oder auch nur so habgierige Leute, die es der Mühe wert finden, sich anzustrengen, um wohlhabend zu werden. Da es nicht allzu viele derartige Konkurrenten gibt, ist das in diesem Land nicht annähernd so schwierig wie bei uns, wo fast jeder dem Geld nachrennt, so daß es viele in Nepal zu bescheidenem Wohlstand bringen: Sie haben ein etwas größeres Haus mit so viel Platz, daß jeder ein eigenes Bett hat, sie haben ein paar Milchtiere und Hühner und lassen ihr Feld von fremden Arbeitskräften bestellen. Ein Pflug und Arbeitstiere sind ungebräuchlich. Sie haben Überschüsse aus der Ernte, womit sie die Arbeitskräfte bezahlen, und die sie verkaufen, haben schöne Ersparnisse und Geld genug für Stahltöpfe, Armbanduhren, Transistorradio und einen grellfarbigen Nylonsari aus Hongkong für die Frau. Sie liegen im Wohlstand aber noch weit hinter den »Superreichen«, die ein Motorrad oder gar ein Auto besitzen, auf Stühlen sitzen und zum Kochen Ofen und Rauchfang haben. Normalerweise kocht man in Nepal am offenen Feuer auf dem Lehmboden und läßt den Rauch aus Tür und Fenstern hinausziehen.

Diese Reichen sind durch Handel oder Tourismus, durch Handwerk oder Gaunerei, durch Politik oder Schiebung oder auf sonst eine Art schon in jungen Jahren zu ihrem bescheidenen Wohlstand gelangt. Das Besondere an ihnen ist, daß sie sich ganz und gar reich genug fühlen, obwohl sie von noch viel größerem Reichtum wissen, um sich zur Ruhe zu setzen und ein gemächliches, bescheidenes Leben zu führen, wie es bei uns fast nur Pensionären gelingt, und dabei wirklich froh und zufrieden wirken, wie bei uns fast niemand. Unsere Pensionäre leiden in der Regel unter ihrem Alter.

Diese Freiheit, dieses behagliche, fast könnte man sagen biedermeierliche Dasein, ist das Ziel jener Nepalesen. Es ist aber nicht nur das Ziel dieser strebsamen Bevölkerungsschicht, sondern nach allgemeiner Auffassung ist das die anstrebenswerteste Stufe, die man im Leben erreichen kann. Arbeit wird nicht als ehrenhaft, heroisch oder sonstwie wertvoll, sondern als ein trauriges Übel angesehen, dem sich gewisse Menschen unterziehen müssen, solange sie der Armut nicht entrinnen können.

Wer arbeitet, wird als niedriger angesehen als einer, der es nicht nötig hat. Anläßlich eines Heimatbesuches meiner Frau stellte sich heraus, daß die meisten Leute es für völlig ausgeschlossen hielten, daß sie zu Hause auch nur einen Handgriff arbeitet. Denn sie ist doch so reich, daß sie Schuhe und Strümpfe trägt. Redliche Arbeit wird sogar gern vor der Gesellschaft verheimlicht, damit man als einer gilt, der solche Fron nicht nötig hat. Jemand hatte besonders köstliches Gemüse für uns Besucher »aufgetischt«, das heißt auf dem Fußboden in Schüsselchen serviert. Das Lob darüber erwiderte die Frau in der Weise, daß sie von ihren tüchtigen Gartenarbeitern sprach, die das Gemüse gezogen hätten. Meine Schwiegermutter wußte aber sehr wohl, daß sie alle selber kultivierte.

Ein weiteres Beispiel: Ein strebsamer Onkel hatte einen Hektar Dschungel gerodet, alle Wurzeln ausgegraben und eine Mandarinenpflanzung angelegt - bei Nacht. Tagsüber ging er spazieren oder schlief sich aus. Die »Schande« harter Arbeit wollte er verstecken.

Wer dort wohlhabend ist, etwa in dem Maße unserer Kleinstverdiener, und trotzdem arbeitet, wird als armer Irrer angesehen. Und solche Leute sind dort auch sehr selten.

Solch eine Lebenseinstellung ist ganz natürlich und hat viel Lebensglück zur Folge. In unserer westlichen Kultur hingegen hat die Erziehung zu übertriebenem Ehrgeiz, der früh und erbarmungslos einsetzende Kampf gegen die urnatürliche Arbeitsscheu und die Anstachelung zu ungesunder Habgier eine ganz andere Lebenseinstellung hervorgebracht, nämlich die Unersättlichkeit in bezug auf Geld, Anerkennung und Macht. Daher kommt es, daß bei uns so viele wohlhabende Menschen, die in Freiheit, Gesundheit und Wohlbehagen leben könnten, aus freiem Entschluß und aus Überlieferung auf ein solches Leben verzichten. Dies sind die Menschen der dritten anfangs erwähnten Gruppe.

Die Mehrzahl unserer Landsleute gehört der ersten Gruppe an. Sie liebäugelt erst gar nicht mit der Freiheit, um nicht etwa selbständig Entscheidungen treffen, Wagnisse eingehen oder ungewöhnliche Wege beschreiten zu müssen.

Die zweite große Gruppe, also die der »Verschwender«, hätte am leichtesten Zugang zur Freiheit. Mein Versuch in dieser Richtung ist durch das Büchlein »Ein Weg zum Leben im Grünen« ein wenig bekannt geworden, so daß ich einige Jahre lang viel Post und viele Besuche erhielt. Dabei lernte ich auch die Menschen jener Gruppe kennen. Sie suchten irgend einen »Kniff«, die Freiheit zu erlangen, ohne sich bescheiden zu müssen. Dabei mußte ich sie freilich enttäuschen. In der Regel lagen ihre Einkünfte hoch genug, davon nach fünf bis zehn Jahren die lebenslängliche Freiheit zu finanzieren. Trotzdem ließen fast alle die Dinge laufen wie bisher.

Warum verderben sich so viele Leute ihr Leben durch überhöhte Verbrauchsansprüche? Nicht nur aus Verwöhntheit, aus Gewöhnung an den Überfluß, an Luxus und Verschwendung, sondern auch aus Prahlerei. Sie wählen ein unnötig teures Auto, behängen sich mit Gold, bauen ihre Villa so, daß man sie von möglichst weit her schon bestaunen kann, stolzieren im Pelzmantel daher und genieren sich, das Billige zu wählen oder nach dem Preis zu fragen. Aber für das Lebensglück sind eine teure Uhr, ein goldenes Armband, eine Stereoanlage usw. weniger wert als ein Bachkiesel.

Jeder könnte Bescheidenheit im Warenverbrauch lernen, wenn er es lange genug und in ehrlicher Bemühung versuchen würde. Bei solchem Bemühen beobachtet man überraschenderweise, daß der bescheidene Warenverbrauch kein geringeres Vergnügen bereitet als der verschwenderische, wobei man sich viel genauer mit dem, was man verbraucht, befassen muß. Man kann aus Mehl, Butter und ein paar Eiern ebenso gute Speisen bereiten, wie wenn man sie im feinen Restaurant vorgesetzt bekommt oder in der Konditorei kauft, und zwar in derselben Zeit, in der man angespannt dreimal um den Häuserblock fahren würde, um einen Parkplatz zu ergattern, dann vielleicht am Tisch sitzen, mit den Fingern trommeln oder den Bierdeckel drehen würde mit der brummigen Bemerkung: »Wo bleibt denn nur die Bedienung?«

Ferner beobachtet jemand, der anfängt, sparsam zu leben, daß ihm ganz ungewollt eine Menge Freuden nebenbei beschert werden, die er zuvor nicht kannte. Wer sich in einem noch so kleinen Gärtchen oder nur auf dem Balkon Blumen zieht, wird damit weit mehr Freude erleben als mit dem Strauß, den er sich aus der Blumenhandlung holt. Wer seine Kleidung pflegsam trägt und schließlich ausbessert und so ein Stück dreimal so lange benützt wie es derzeit verschwenderische Sitte ist, wird bemerken, daß das Kleidungsstück nicht nur zum Wärmen oder allenfalls zum Herzeigen dient, sondern daß sich eine engere Beziehung zu dem Kleidungsstück entwickelt, so daß man es lieben lernt und sich daran freut. Und wer anfängt, weniger zu essen, wird nicht nur gesünder und weniger müde, sondern das Wenige wird ihm viel besser schmecken als früher das Viele.

Die materielle Grundlage des Lebens besteht aus Ernährung, Kleidung und Wohnung. Jeder hat dabei seine besonderen Vorlieben, so daß sich keine Bedarfslisten aufstellen lassen, die für jeden gelten. Aber ein Beispiel kann als Richtschnur dafür angesehen werden, was notwendiger und bescheidener Verbrauch ist. Und so wähle ich meine eigenen Lebensverhältnisse als Beispiel: Das Essen für meine Frau und mich kostet im Jahr 1500 DM, wobei sämtliches Obst und Gemüse sowie Kartoffeln aus dem eigenen Garten stammen. Die größten Einkaufsposten sind Milch von einem Nachbarbauern und Eier vom Geflügelhof. Brot backen wir aus grobem Weizen-Vollkornmehl (das sonst nur als Viehfutter für 70 Pf/kg Verwendung findet). Mit Hefe, Salz, Kümmel oder Brotgewürz gebacken ist es so köstlich, daß wir es jedem gekauften Brot vorziehen würden.

Das Brot läßt sich ebenso wie ein größerer Milchvorrat und sogar Hefe und Joghurt (zum Impfen der Milch für die Herstellung größerer Joghurtmengen) einfrieren, so daß sich unsere Einkäufe auf etwa vier im Jahr beschränken, was nicht nur Fahrtkosten und Zeit, sondern auch unnötige Unannehmlichkeiten, im Gedränge und Lärm des Einkaufsladens zu stehen und Geld ausgeben zu müssen, erspart.

Wir halten uns an einfache Kost, und es schmeckt uns immer sehr gut. Es gibt keinen Grund dafür, die Speisen darüberhinaus zu verfeinern. Überraschenderweise finden wir das Essen im Restaurant, wenn wir dorthin ausnahmsweise einmal eingeladen werden, nicht besser als das eigene, eher »komisch« gewürzt, auch wenn es bombastische französische Namen trägt.

Obst und Gemüse für den Winter kochen oder frieren wir ein. Alles, was wir im Garten ernten, könnten wir für schätzungsweise 1000 DM bei günstigen Saisonangeboten im Geschäft kaufen. Rechnet man noch 350 DM Strom für den Betrieb der Gefriertruhe hinzu, so würde uns das Essen 2850 DM in Jahr kosten, wenn wir keinen Garten hätten.

Bekleidung kostet uns beide gemeinsam 300 DM im Jahr, nämlich ab und zu ein Paar kräftige neue Schuhe. Abgelegte Kleidung von anderen Leuten, die ihren Abfall, der noch tadellos zu tragen, aber aus der Mode ist, lieber uns schenken, statt in den Rot-Kreuz-Sack oder Mülleimer zu stopfen, macht uns schon aus Platzmangel Sorgen, und wir müßten über hundert Jahre alt werden, um all die Textilien aufzubrauchen.

All das gänzlich Überflüssige, welches das Haushaltsbudget der meisten Leute so gefährlich belastet, gibt es bei uns nicht: Zigaretten, Friseur, Kino, Fernsehen, Abendunterhaltungen, Bier, unnötige Geschenke, Mode, Schmuck, Festlichkeiten, Restaurantbesuche, Telefon usw. Aber es wäre ein Irrtum, so ein Leben für karg oder gar freudlos zu halten. Im Gegenteil. Wir leben so erlebnisreich, unterhaltsam und froh, daß wir auf all das Aufgezählte auch dann verzichten würden, wenn wir es geschenkt bekämen.

Fernsehen habe ich jahrelang erprobt. Aber das beunruhigende, zerstreuende und meistens sogar unleidliche Programm und das Überwechseln aus dem wohltuenden, friedlichen Leben in eine Gefühl-verrückende Phantasiewelt war so störend, daß ich es aufgegeben habe.

Ein Telefon brächte mehr Störung als Vorteil. Und so ähnlich steht es um all den anderen Luxus, der das Leben um kein Haar verbessert, nur zerstreut und »aus den Fugen hebt«.

Um bei den Lebenskosten zu bleiben: Fast 300 DM im Jahr kostet die Radiogebühr für Nachrichten und Wettervorhersage. Ansonsten ist dem Kasten nichts Brauchbares zu entlocken. Klingt doch das Rauschen des Windes, das Plätschern des Brunnens vor dem Haus, der Vogelgesang, das Quaken der Frösche und Zirpen der Grillen ungemein wohltuender als jede Musik, wenn man sich erst einmal in jene Naturlaute zu vertiefen gelernt hat und innerlich so ausgeglichen ist, daß einem künstliche Musik so plump und klirrend vorkommt, wie das Getrampel eines Elefanten im Porzellanladen.

Oft höre ich das Argument: »Man darf doch nicht gegen den Strom schwimmen!« Ohne Kinder, da kann man sich das vielleicht leisten, aber... Doch gerade für Kinder wäre Freiheit und Leben in der Natur von allerhöchstem Wert für ihr ganzes Leben. Und Kinder kosten nicht mehr, als das Kindergeld ausmacht, wenn sie zur Sparsamkeit erzogen werden und lernen, daß man nicht jeden Unsinn nachzumachen braucht. Wenn sie die richtige Einstellung bekommen, haben sie für ihr ganzes Leben mehr davon als von aller sorglosen Verschwendung.

Kleine Ausgaben gibt es noch für Nähzeug, Briefmarken, Briefpapier, Zahnpasta und dergleichen, vielleicht 300 DM im Jahr. Und so kommen wir auf 3450 DM. Geheizt wird ein einziger Raum auf 16 Grad, macht 600 DM. Der Strom - außer für die Gefriertruhe - kostet DM 550 DM im Jahr, alles in allem also 4550 DM, umgerechnet auf den Fall, daß wir keinen Garten hätten. Mit Garten leben wir um 1000 DM billiger.

Wohnen können wir im eigenen Haus umsonst und haben sogar erreicht, den Schornstein selber fegen zu dürfen und keine Müllabfuhr zu bezahlen, weil wir keinen Müll haben. Ohne Eigenheim könnten wir in stadtferner, ländlicher Lage zwei Zimmer, Küche, Bad für 400 DM im Monat = 4800 DM im Jahr mieten. Die Anschaffung eines sehr kleinen Eigenheimes ließe sich mit 80000 DM zustandebringen, wenn man eigenhändig baut und das Haus bescheiden ausstattet.

Die »Freiheit« kostet also einmalig 80000 DM + jährlich 3550 DM mit Garten oder 4550 DM ohne Garten oder fortwährend jährlich 9350 DM in einer gemieteten Kleinwohnung, und zwar alles für zwei Personen. Hinzu käme noch eventuell der Luxus eines Autos mit 3000 DM pro Jahr bei sparsamer Benützung.

Man kann 1000 bis 3000 DM monatlich verdienen und ausgeben, wie es die allermeisten Menschen tun. Von Freiheit können diese aber höchstens träumen. Also heißt es normalerweise, wenn man sich die Freiheit zum Ziel gesetzt hat, erst einmal arbeiten, sparen und aufbauen. Alles andere ist Illusion.

Hat man 200000 DM gespart, kann man von den Zinsen in der gezeigten Weise leben und das Kapital entsprechend der Inflationsrate aufstocken. Man kann auch ein Haus für 80000 DM bauen und von den Zinsen der restlichen 120000 DM leben. Wenn man 2000 DM monatlich verdient und 1000 DM verbraucht, erreicht man das Kapital nach 16 Jahren; genauer: nach 14 Jahren unter Berücksichtigung von Sparprämien und Zinsen. Aber das dauert wohl vielen zu lang. Diejenigen aber, die schon einiges haben und nur noch aufstocken müssen, sind dem Ziel schon näher.

Eine andere Lösung wäre ein Leben ohne Zinsen, wie ich es führe, mit Eigenheim und Selbstversorgergarten. Bei einem Jahresverbrauch von 3550 DM + 3000 DM für das Auto = 6550 DM wären dann zuvor 80000 DM für Haus und Grund anzusparen, während die jährlich 6550 DM in kurzfristiger Saisonarbeit verdient werden müßten, was beispielsweise mir durch den Verkauf von Erdbeeren gelingt. Die Freiheit ist dadurch zwar angeknabbert, nimmt aber doch nicht zu großen Schaden. Ist man vorsichtig und legt auf eine kleine Reserve und eine kleinstmögliche Sozialversicherung wert, so ist für die letztgenannte Lösung ein Kapital von 100000 DM erforderlich, was heutzutage fast jeder in etwa 8 Jahren zusammensparen könnte, ohne zu hungern und zu frieren. Wer aber glaubt, wenn er 2000 Mark verdient, müsse er mehr verbrauchen als einer, der nur 1000 Mark verdient, wird sein Sparziel nicht erreichen.

Auf meine freie Weise lebe ich nun schon seit 1970. Und ich lebe weit besser als früher. Ich habe gelernt, daß das meiste, was es zu kaufen gibt, nicht wert ist, daß man dafür arbeitet. Doch die Freiheit ist eines der wenigen Güter, für die sich auch eine ganz großen Anstrengung lohnt.

Freiheit im abstrakten Sinn heißt, grenzenlos tun und lassen zu können, was man will. Also beispielsweise ohne Pause essen zu können, fliegen zu können, alles sehen zu können, durch jede Mauer hindurchdringen zu können. Diese Freiheit liegt durchaus im Phantasiebereich der Menschen.

Solche Wunschträume beruhen allerdings auf dem Irrtum, daß eine derartig grenzenlose Freiheit übermenschlich herrlich und beglückend sein müsse. Dem ist nicht so. Nicht nur, daß man davon krank wird, wenn man in Hülle und Fülle die besten Köstlichkeiten genießen, alle Nächte in Saus und Braus verbringen, sich mit jeglichem Luxus umgeben kann, sondern überraschenderweise bleibt bald der Lohn für all die Unternehmungen, nämlich die Freude, aus.

Das bemerkt jeder, der sich einmal derartige Freiheiten für kurze Zeit herausnimmt. Enttäuscht stellt er fest, daß der Appetit vergeht, sich Kopfschmerzen und Augenbrennen einstellen, die Lust nach weiteren Vergnügungen ausbleibt und kurz das Leben »zum Kotzen« wird. Daran leiden in ausgedehnterem Maße zum Beispiel viele Playboys und so manche Millionäre, die ihr Geld dazu verwenden, sich möglichst viele Freiheiten der erwähnten Art zu kaufen. So kommt es, daß gerade solche »Traumprinzen«, die die Idole so vieler Normalbürger sind, im Suff verkommen, in tiefes Unglück sinken oder gar sich das Leben nehmen, wobei jeder, der das hört, fassungslos staunt: Wieso denn, der oder die hatte doch alles, Beliebtheit, Geld im Überfluß, Ansehen und Erfolg. Man vergißt nur, daß solche vermeintlich freien Unglücklichen eines nicht hatten: Lebensweisheit, zu der auch Einsichten in das Wesen der Freiheit gehören.

Nein, die Freiheit, nach Belieben alles zu haben und alles anstellen zu können, macht noch lange nicht glücklich.

Ganz anders steht es um die natürliche Freiheit. Sie besteht darin, einerseits weitgehend von den Plagen und Lasten, die uns die Hochzivilisation aufgeladen hat, befreit zu sein, andererseits darin, die Regeln der Natur befolgen zu dürfen. Jene Plagen und Lasten sind beispielsweise das starre Korsett eines modernen Berufes, in dem man Tag für Tag - oft nach gefährlicher Fahrt zum Arbeitsplatz - acht Stunden einer Tätigkeit nachzugehen hat, die man nicht mag. Und daß man ausgerechnet dann frei hat, wenn der Kalender es befiehlt, selbst wenn das Wetter noch so schlecht ist, während man beim herrlichsten Badewetter im Büro zu sitzen oder im Betrieb zu rackern hat. Oder man muß sich mit Leuten abgeben und ihnen die freundlichsten Worte sagen, wenn man in Wahrheit denkt, »leck' mich doch ......«.

Eine ähnliche Last ist es, umgeben von Lärm und Staub, umgeben von scheußlichen Gemäuern wohnen zu müssen, während man viel lieber - bescheiden und fürs gleiche Geld - im Grünen leben würde.

Wohl ist niemand gezwungen, den Schund zu kaufen, den die Werbung anpreist, zum Friseur zu gehen und das Getöse aus dem Radio über sich ergehen zu lassen. Aber man wird zu all diesen Unfreiheiten gedrängt, wenn man im Netz der Hochzivilisation gefangen sitzt. Und wenn man erst einmal in diesem Netz zappelt, entwickelt man eine ganz besonders leidvolle Wesensart: Man wird eilig und nervös und mag niemand mehr sehen und hören, was man aber zu verstecken sucht. Man wird Tag und Nacht von Ängsten beschlichen, die einem - halb verdrängt - nicht recht bewußt werden. Man schläft schlecht, fühlt sich leer, freudlos, bedrückt und fragt sich schließlich: Wozu das Ganze? Und zwar gilt dies nicht nur für den erfolgsarmen »kleinen Mann« und den ziellosen Alkoholiker oder Rauschgiftsüchtigen, sondern ebenso für die oberen Zehntausend, denen die Decke ihrer Millionenvilla »auf den Kopf fällt«, die das Telefon »nicht mehr hören können«, die ihre Krawatte verwünschen und die manchmal davon träumen, einmal frei zu sein wie ein Schafhirte oder ein »armer« Fischer auf dem Meer.

Die »gute« Freiheit, die natürliche, ist eine, die uns erlaubt, die hunderttausende Jahre alten Regeln der Natur zu befolgen: Die Natur in uns und um uns verlangt Geruhsamkeit, lockere Bewegung, und zwar nicht im Gymnastikkurs, sondern Tag für Tag etliche Stunden im Freien, verlangt, daß wir das Wettergeschehen und die Jahreszeiten nicht als bloße Wochenendmerkmale erleben, sondern als etwas, in das wir völlig eingebettet sind. Unser natürliches Gefühl verlangt keineswegs das Leben in einem Palast oder in einer Luxusvilla, sondern in einer möglichst unbeschädigten, natürlichen Umgebung. Wann wir aufstehen und schlafengehen sollen, schreibt uns im freien Leben nicht etwa der Morgenwecker oder das Ende des Abendkrimis oder der Sportsendung vor, sondern allein unsere Munterkeit oder Müdigkeit. Was wir gern tun, ist dann das, was wir dank unserer natürlichen Regungen tun sollen. Das Kochen ist dann keine überkandidelte, mühselige Last, von der man dann und wann befreit zu sein wünscht, weshalb man so gern »ausgehen« möchte, sondern es macht immer Vergnügen. Den Garten zu bestellen, ist nicht ein »Ausgleich« am Wochenende, sondern wesentlicher Teil des freudigen Lebensinhaltes. Auf den Berg steigt man dann nicht, um sich »abzuspecken« oder um zu prüfen, was die »Pumpe« noch kann, sondern weil es uns unwiderstehlich hinaufzieht und uns die Wanderung mit Freude und Gesundheit belohnt.

Bei den Tieren herrscht noch die ungetrübte Wertschätzung der natürlichen Freiheit, die ihnen das Allerhöchste ist. Mag ein gefangenes Wildtier noch so ausgehungert sein, nie kann man es durch Futter zum Bleiben locken. Bietet man ihm die Freiheit, so wählt es diese und verzichtet auf das beste Essen.

Wie groß muß die Freude höherer Tiere und des Menschen über die Freiheit sein! Freilich, die meisten Menschen kennen sie kaum und genießen nur im Urlaub, beim Camping und beim Picknick einen Hauch davon. Neben oder mit der Gesundheit ist wohl die natürliche Freiheit das höchste Gut, das wir anstreben können und das uns Lebensglück verspricht. Nicht eine Freiheit, die uns gestattet, uns in Macht und Überfluß, Luxus und Verblendung auszutoben, sondern eine Freiheit, die es uns erlaubt, nach den Regeln der Natur und im Einklang mit ihr zu leben!

Rette sich wer kann!

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lang bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Rilke

Ob wir, wie etwa Theo Löbsack (Versuch und Irrtum) annehmen, daß der Mensch in eine tödliche Sackgasse geraten ist und wir allenfalls noch recht vergnügliche Schlupfwinkel finden können  - was ich für sehr wahrscheinlich halte - oder ob wir wie Paul Lütz (Schöpfungstag und Mensch der Zukunft) an die Chance glauben, daß der Mensch sich so weit entwickeln wird, daß er nicht Opfer, sondern Herr der Zivilisation wird, das ist für unser Handeln jetzt schon von Bedeutung. Hier Abbau der Zivilisation, dort ihre Fortführung voller Hochmut in dem Glauben, die »gesunde« Zivilisation der Zukunft finden zu können. Zwei Meinungen - wir müssen uns entscheiden. Darum denken wir an die nächsten Jahrzehnte mit gemischten Gefühlen.

Der vermeintlich schwierige Weg, die Einschränkung der Zivilisation, die Rückkehr zum einfachen Landleben, führt uns in Lebensverhältnisse, die uns Älteren aus der Vergangenheit allzu gut bekannt sind. Wer eine Oase verläßt und sich in der Wüste verirrt, dann aber glücklicherweise seine Spur zurückverfolgen könnte und ziemlich sicher seine Oase wiederfinden würde, der steht nun vor der Wahl, entweder sein Traumziel, vielleicht nur eine Fata Morgana, zu verfolgen oder umzukehren zu der grünen Oase seiner Herkunft. Ist er von dem Erfolg seines bereits zurückgelegten Weges so besessen, daß er glaubt, ihn auch weiter fortschreiten zu müssen, so bedeutet das wahrscheinlich seinen Untergang.

Noch ist unsere Spur nicht völlig verwischt, der Brunnen des natürlichen Lebens nicht allzu fern. Noch hat jeder im Tiefsten seines Herzens wenigstens den Rest Oasensehnsucht, den rettenden Trieb zu den Quellen des Lebens und Glücks. Aber warten wir mit der Umkehr nicht darauf, bis alle miteinander den Rückweg einschlagen wollen. Es könnte zu spät werden. Denn was sollen wir tun, wenn die Verhältnisse zu schwierig oder wir zu alt werden?

Mein zweites Haus im Selbstbau

Familiäres Mißgeschick hatte mich gezwungen, ein 1970/72 eigenhändig gebautes Haus verkaufen zu müssen. Die Suche nach einem geeigneten Ersatz war erfolglos: Eine alte Mühle im dichten Wald neben dem viel zu laut rauschenden Bach, eine durchfeuchtete Ruine knapp neben einem pompösen Neubau, eine Steilhang-Keusche, die nur zeitweise Wasser hat und mit der man die rüstige Oma gleich mitkaufen muß, und all das jeweils nicht unter 70.000 DM; diese Angebote schlug ich mir aus dem Sinn. Und wo ich eine brauchbare, still und sonnig gelegene Hütte entdeckte, war sie bereits in festen Händen. So hielt ich nach einer geeigneten und käuflichen Wiese Ausschau. Jahrelang, mit dem Auto und vor allem zu Fuß und mit dem Fernglas. Geeignete Plätze fand ich einige, aber verpachten oder verkaufen wollte niemand; eine neue Schwierigkeit aufgrund des heutigen allgemeinen Reichtums der Grundbesitzer. Schließlich aber hat es doch geklappt, auch mit der Baubewilligung im Grünland, um die mich schon viele beneideten. Die bekommt man fast nur für landwirtschaftliche Zwecke. Es gilt also sehr glaubhaft zu machen, daß man wirklich Landwirtschaft treiben wird. Auch die Größe der Fläche, in meinem Fall 1,2 ha zuzüglich Pachtzusage für 1,5 ha, muß dementsprechend sein. Wer nur eine Selbstversorger-Landwirtschaft - etwa im Sinne von Seymour vorhat, das ist die natürlichste, gesündeste und weltweit verbreitetste Form der Landwirtschaft -, der kann kaum mit dem Verständnis unserer engstirnigen Behörden rechnen. Denn wer nicht zum Hauptziel hat, möglichst viel Geld zu machen, wird als spinniger, unerwünschter Außenseiter abgetan. Wer aber von seinen Sonderkulturen wie Spargel, Erdbeeren und Freilandhühnern schwärmt und lauthals vom vielen Geld träumt, ist angepaßtes Mitglied der Konsumtrottel und Steuerzahler-Gesellschaft und wird geachtet und gefördert ...

Grundriss des 2. Hauses von Gerhard Schönauer (14 kB)

Das Haus sollte diesmal viel sparsamer als das erste ausfallen. Die 11 x 12 m Außenmaß, volle Unterkellerung, Zentralheizung, Wohnfläche etwa 2 x 80 m2 des ersten Hauses waren zwar bequem zu bewohnen, aber ein zu großer Herstellungsaufwand. Das neue Haus ist nur gut halb so groß bei 7 x 10 m Außenmaß, nicht unterkellert und ohne Zentralheizung. Zementestrich und doppelter Kokosfaser-Teppich bringen eine gute Fußbodenwärme, vorausgesetzt, die Estrichplatte schließt nicht an die Außenmauern an, sondern ist 10 cm breit und 1/2 m tief randisoliert (Heraklith). Unverändert gegenüber dem alten Haus blieb die große Verglasung von Süd- und Westfront sowie die Verwendung des Hauptraumes als Eß-, Wohn- und Schlafzimmer zugleich.

Die alte Zentralheizung hatte sich nicht bewährt. Die ganze Wohnung zu beheizen war zu teuer, nur das Hauptzimmer zu beheizen und dafür den ganzen Apparat im Keller und den Heizraum aufzuwärmen, war verschwenderisch. Dummerweise fehlte im früheren Haus ein Rauchrohranschluß im Wohnzimmer, während die Küche einen - nie benutzten - hatte. Im neuen Haus ist es umgekehrt: Ofenanschluß im Hauptraum, und zwar als einziger Rauchzug des ganzen Hauses. Dahinein mündet auch das Rauchrohr des Badeofens, der im Flur steht und sich bestens bewährt.

Der Ofen im Wohnzimmer ist das Ergebnis sehr langer Suche in über 20 Geschäften: Ein niedriger Gußofen mit einer großen Platte für Töpfe und einem riesigen Feuerraum. Hölzer bis 60 cm Länge und 18 cm Dicke passen da hinein, wodurch das Feuer lange anhält und viel Arbeit beim Holz-Zerkleinern gespart wird. Der Ofen heizt sich morgens schnell auf und kühlt zum Schlafen wieder rasch ab.

Die Raumhöhe von 225 cm ist für unseren Geschmack ideal, aber die Bewilligung dafür war der Baubehörde erst nach langem Drängen abzuringen gewesen.

Sonstige Daten: Gebrannte Hochlochziegel, Wandstärke 25 cm vor dem Verputzen, Isolierung gegen Erdfeuchtigkeit durch doppelte Silofolie (nicht Teerpappe), a ) auf dem Betonfundament, b ) in Geländehöhe und (mit b) in einem Stück c) an der Außenfläche der Grundmauer (besser und viel billiger als alle möglichen Anstriche und Isolierplatten). Grundmauern selbstverständlich aus Betonsteinen und nicht aus gebrannten Ziegeln. Erdgeschoßdecke aus Holzbalken 12/12 cm mit aufgelegten Gipskartonplatten. Auch die Dachgeschoßdecke aus Gipskartonplatten 12,5 mm stark, ohne die vorgeschriebene Lattung in 40 cm Abstand, weil Auflager bzw. hängend aufgeschraubt in etwa 1 m Abstand genügt und seit 2 Jahren zu keiner sichtbaren Durchbiegung geführt hat. Über den Gipsplatten 10 cm Dämmstoff.

An Handwerker vergeben wurden folgende Arbeiten: Baufläche einebnen und Fundamentgräben ausheben (Bagger), Senkgrube, Dachstuhl, Fenster und Außentüren, Wasserleitungen (ohne Sanitäranschlüsse). Alles Übrige war Eigenleistung von meiner Frau und mir in etwa 20 Monaten, aber beileibe nicht in einem Stück, das wäre nicht auszuhalten. Vorhanden waren Strom, Betonmischer und die üblichen Heimwerker- und Maurergeräte. Baukosten etwa 60000 DM einschließlich Stromanschluß, Sanitärgeräte mit Hauswasserwerk, Brunnen, Öfen und Senkgrube. Wers machen will: Arbeitshandschuhe anziehen und die Zementsäcke lieber zu zweit tragen als sich den Rücken verknaxen!

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